Jerry Cotton - 0504 - Der Tiger
muß von der Bildfläche verschwinden, das ist klar. Du wirst seine Adresse ausfindig machen, Herb. Ich lasse mir inzwischen einfallen, wie wir den Oberschlauen abservieren!« ***
Als ich erwachte, war ich gefesselt und geknebelt. Sogar meine Augen waren verbunden. Ich konnte mich nicht rühren. Die Fesselung war Expertenarbeit. Ich fragte mich, wozu die Augenbinde dienen sollte. Ich lag im Kofferraum eines fahrenden Autos und hätte ohnehin nichts sehen können.
Voll Bitterkeit dachte ich daran, daß wir in diesem Moment möglicherweise eines der FBI-Fahrzeuge mit den wartenden G-men passierten. Mr. Farlund saß noch immer vor seinem Telefon, auch er wartete vergebens.
Wir rollten etwa zwanzig Minuten lang über asphaltierte Straßen. An den regelmäßigen Stops war zu merken, daß wir uns in der mit Ampelkreuzungen bestückten City befanden. Dann hielten wir. Draußen war es plötzlich merkwürdig still. Offenbar waren wir in einer Tiefgarage oder auf dem Hinterhof eines Grundstücks angelangt.
Der Wagen schaukelte. Ein paar Männer stiegen aus. Kurz darauf wurde die Kofferraumklappe geöffnet. Ich wurde aus meinem beklemmend engen Gefängnis gehoben und auf den Boden geworfen. Jemand trat mit dem Fuß nach mir. Dann wurden die Stricke an meinen Füßen aufgeschnitten. Ich bekam einen weiteren Tritt. »Aufstehen!«
Ich erhob mich. Meine Hände waren auf dem Rücken zusammengebunden, und mein Schädel fühlte sich an, als wäre er mit Schrotkugeln gefüllt. Sobald ich den Kopf bewegte, geriet die ganze Ladung in Bewegung, um sich nach der neuen Schwerpunktlage zu orientieren. Die Augenbinde lag so dicht an, daß ich nichts sehen konnte. Eine Pistolenmündung lauerte unsanft in meinem Rücken. »Vorwärts!«
Wir betraten einen Raum. Es schien sich um eine Garage zu handeln, denn es roch nach Gummi und Benzin. Dann ging es ein paar Stufen hinab. Unsere Schritte hallten. Hier roch es nach Heizungsöl. Vermutlich befanden wir uns im Keller eines größeren Hauses, denn ich zählte dreißig Schritte, ehe ich am Arm gepackt und auf diese Weise gestoppt wurde. Einer der Gangster schloß eine Tür auf. Ich erhielt einen Stoß in den Rücken und stolperte über eine Schwelle.
Dann setzte man mich auf einen Stuhl. An den Schritten und den gelegentlichen Bemerkungen der Gangster hatte ich festzustellen vermocht, daß ich von drei Bewachern umgeben war. Sie fesselten mich an den Stuhl. Sie taten ihre Arbeit auch diesmal sehr gründlich und mit der kalkulierten Grausamkeit von Menschen, die ihre Rachegelüste zu befriedigen wünschen.
Ich biß mir auf die Unterlippe. Sehr lange würde ich es so nicht aushalten können; die tief ins Fleisch einschneidenden Stricke behinderten die Blutzirkulation ganz erheblich.
Erst jetzt wurden mir Augenbinde und Knebel abgenommen. Blinzelnd schaute ich mich um. Ich saß in einem weißgetünchten fensterlosen Kellerraum. Die dicke eisenbeschlagene Tür stand weit offen. Offenbar erwartete man noch einen weiteren Mann.
Die Gangster, die mich hergebracht hatten, waren Hank Lister, Bertie Wells und Freddy Shark. Lister und Wells hatten sich offenbar von den Niederschlägen gut erholt. Sie sahen besonders grimmig aus. Slim hatte sie vermutlich ausgesucht, weil er sicher sein konnte, daß sie sich in dieser Nacht keine weiteren Schnitzer leisten würden.
Im Kellerraum wurden Schritte laut. Im nächsten Moment erschien Howard Slim im Türrahmen. »So, mein Junge!« sagte er mit höhnischem Grinsen'. »Jetzt reden wir einmal Fraktur miteinander!«
Der Keller enthielt außer dem Stuhl, auf dem ich saß, noch zwei Betten ohne Matratzen, einige alte Holzstühle, eine Radiotruhe aus den vierziger Jahren und ein gußeisernes Gestell, in dem eine Waschschüssel ruhte.
Slim zog sich einen der Stühle heran und ließ sich rittlings darauf nieder. Er saß so dicht vor mir, daß ich seinen nach Whisky riechenden Atem spürte. Die drei Gangster lehnten links und rechts von der Tür an der Wand. Sie beobachteten mich mit ziemlich stumpfen Gesichtern. Sie hatten ihre erste Wut abreagiert und sahen der weiteren Entwicklung ohne sonderliche Anteilnahme entgegen.
»Du hast uns tanzen lassen wie die Marionetten!« sagte Slim. Er sprach sehr langsam, wie zu einem Kind oder einem Ausländer, bei denen man Verständigungsschwierigkeiten voraussetzt. »Aber jetzt halten wir die Fäden in der Hand. Es liegt an dir, wie scharf wir sie anziehen werden. Verstanden?«
Ich schwieg, denn daran gab es nichts
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