Jerry Cotton - 0506 - Der Toeter und die grosse Angst
Diktatur gebräuchlich sein mögen, aber hier, in einem Rechtsstaat, sind sie schlechthin schockierend und unverantwortlich. Ich versichere Ihnen, daß meine Freunde in der Stadtverwaltung erfahren werden, wie Sie…«
Ich unterbrach ihn, denn ich hatte nicht vor, mir diese Litanei noch länger anzuhören. »Wir sind nicht so sehr an den Gesetzen der Höflichkeit interessiert«, sagte ich. »Uns geht es vielmehr um die Klärung einiger strafrechtlicher Fragen. Sie dürfen versichert sein, daß wir uns dabei durchaus korrekt verhalten werden.«
Er runzelte die buschigen Augenbrauen. »Sie wollen eine Auskunft?«
»Nicht nur eine«, sagte ich. »Warum haben Sie Ihre Revolvermänner auf Lanny Stratwyck schießen lassen?«
Er grinste. »Da sind Sie schief gewickelt«, meinte er nach kurzer Pause. »Ich wollte mich nur mit Stratwyck unten in Brooklyn treffen. Stratwyck hatte mich angerufen und um die Zusammenkunft gebeten. Angeblich wollte er mir einige wichtige Informationen verkaufen. Die Sache interessierte mich. Ich fuhr also hin. Er kam zur vereinbarten Zeit. Aber gleichzeitig näherten sich seinem Wagen von der anderen Straßenseite her ein paar verdächtige Gestalten. Als ich bemerkte, daß sie Maschinenpistolen in den Händen hatten, warf ich mich geistesgegenwärtig zu Boden. Stratwyck gab sofort Gas und verschwand. Einer der übrigens maskierten Männer feuerte hinter ihm her. Die anderen zwangen mich, aufzustehen und mit meinem Wagen die Verfolgung aufzunehmen. Aber Stratwycks Vorsprung war zu groß. Er konnte ihnen entwischen. Als die Männer das begriffen hatten, stiegen sie aus. Sie ließen mich allein und ungeschoren zurück, da ich sie ja sowieso nicht hatte erkennen können. Ich habe folglich keine Ahnung, wer sie waren.«
Phil und ich tauschten einen kurzen Blick aus. Gayer hatte sich eine hübsche Geschichte einfällen lassen. Sie enthielt eine plausibel klingende Erklärung für das Geschehen, dessen Augenzeugen wir aus einer gewissen Entfernung geworden waren. Die Geschichte hatte nur einen kleinen Schönheitsfehler: Sie deckte sich nicht mit den Angaben Lanny Stratwycks.
Ich zog den Haftbefehl aus der Tasche und hielt ihn Gayer vor die Augen. Er blieb ganz ruhig. Es war nicht der erste Haftbefehl, der seinen Namen trug und den er zu sehen bekam. Bisher hatte Gayer es immer wieder verstanden, den daraus resultierenden Schwierigkeiten ein Schnippchen zu schlagen.
Diesmal war er reif. Er wußte es nur noch nicht.
»Ich habe Ihnen doch gerade gesagt, wie alles zusammenhängt«, knurrte er.
Ich steckte den Haftbefehl lächelnd wieder ein. »Wir haben Lanny Stratwyck und Benjamin Myers verhaftet«, informierte ich ihn. »Beide sind geständig, Pinky Berger wurde vor einer halben Stunde aus seinem Gefängnis befreit. Er schweigt sich aus, aber das können wir im Moment ignorieren. Es gibt nämlich noch einen dritten Zeugen, an dem Sie nicht vorbeikommen.«
»Faule Machenschaften«, knurrte Gayer. »Von wem sprechen Sie eigentlich?«
»Von Vivian Hurst. Sie hat ihr anfängliches Leugnen auf gegeben.«
Gayer starrte mich an. »Typische Haftpsychose«, murmelte er. »Sie wird ihr Geständnis widerrufen. Ich behaupte, daß es von ihr erpreßt wurde.«
»Bitte, ziehen Sie sich an«, sagte ich. »Sie werden uns zum District Office folgen.«
»Nicht ohne meinen Anwalt!« rief er wütend.
»Es steht Ihnen frei, ihn zu verständigen.«
»Bitte, warten Sie hier auf mich«, sagte er und ging zur Tür. »Ich bin in fünf Minuten fertig.«
»Das läßt sich leider nicht machen«, informierte ich ihn. »Mein Kollege und ich finden Ihre Persönlichkeit so faszinierend, daß wir auf gar keinen Fall darauf verzichten können, in Ihrer Nähe zu bleiben.«
Er zuckte mit den Schultern. Wir folgten ihm ins Schlafzimmer. Er zog sich sehr langsam und sorgfältig an. Wir ließen ihn dabei keine Sekunde aus den Augen. Rod Gayer war ein harter, gerissener Bursche. Darüber täuschte auch seine fette, wabbelige Leibesfülle nicht hinweg. Er wußte gewiß, daß das Spiel für ihn aus war, was jedoch nicht bedeutete, daß er sich bereits geschlagen gab.
Er war nicht mehr der Jüngste. Eine längere Zuchthausstrafe kam für ihn einem Todesurteil gleich. Es lag auf der Hand, daß er mit allen Mitteln in letzter Sekunde versuchen würde, eine entscheidende Wende zu seinen Gunsten herbeizuführen.
Sein faunhaftes Pokergesicht verriet nichts von dem, was ihn bewegte. Sein lautes, schnaufendes Atmen durchdrang die Stille.
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