Jerry Cotton - 0517 - Am Broadway sind die Naechte heiss
Geschäftsführer hieß Lionel Barter. Er war ein hagerer, verbindlicher Mann, der ganz und gar nicht wie ein Wirt aussah.
»Natürlich kenne ich Miß Bennet!« sagte er. »Ihr Tod hat mich zutiefst erschüttert. Sie war so jung und hübsch, ein wirklich gern gesehener Gast!«
»Hatte sie in Ihrem Lokal einen Stammplatz?« erkundigte ich mich.
»Ja, sie pflegte am Tisch neun zu sitzen, da drüben in der Ecke. Sie wollte wohl immer die Tür im Blickfeld haben, nehme ich an!«
»War sie allein?«
»Immer. Aber natürlich saß sie niemals allein am Tisch. Mittags ist bei uns jeder Stuhl besetzt. Das Essen ist vorzüglich. Sie sollten es gelegentlich einmal probieren, meine Herren!«
»Wer bediente gestern am Tisch neun?«
»Warten Sie! Ja, es war Sheila. Sheila Persson. Sie wohnt hier im Haus…«
Phil und ich besuchten das Mädchen in ihrem Mansardenapartment. Sheila Persson empfing uns in einem knallroten Morgenrock, der die Blässe ihres Gesichtes noch betonte. Sie war blond, etwas füllig und ziemlich verängstigt, als sie unsere ID-Cards gesehen hatte.
Wir nahmen ihr die Beklemmung durch ein paar geschickt formulierte Komplimente, die sich auf die Einrichtung des Zimmers und auf Miß Perssons zarten Teint bezogen, und kamen dann geradewegs zur Sache.
»Sie haben gestern mittag Miß Bennet bedient, nicht wahr?« fragte ich.
»Ja, Sir«, nickte das Mädchen und betastete ihre Lockenwickler. »Sie hat das Menü Nummer zwei genommen. Gulasch mit Klößen und Pepperonis. Dazu…«
»Vielen Dank«, unterbrach ich sie. »Ist Miß Bennet gestern früher als sonst weggegangen?«
»Ja. Gleich nach dem Anruf.«
»Wer rief sie an?«
»Das weiß ich nicht, Sir. Miß Bennet sah ziemlich nachdenklich aus, als sie an ihren Tisch zurückkehrte.«
»Wo steht das Telefon?«
»Es ist in einer geschlossenen Zelle auf dem Korridor, der zu den Toiletten führt.«
Ich war enttäuscht. »Es war also niemand in der Nähe, der das Gespräch hätte mithören können?«
»Nein, Sir. Die Box ist schalldicht isoliert.«
»Wer hat den Anruf entgegengenommen?« wollte ich wissen.
»Lydia. Lydia Mills. Sie arbeitet am Büfett.«
»Ist sie jetzt schon unten im Lokal zu erreichen?«
»Nein, aber sie hat Telefon. Sie können sie anrufen.« Miß Persson wies auf den Apparat. »Bitte, ich habe Lydias Nummer im Kopf…«
Ich trat an das Telefon und wählte die Nummer, die mir das Mädchen nannte. Eine dunkle weibliche Stimme meldete sich. Ich erklärte Lydia Mills, worum es ging, und sie antwortete: »Der Anruf kam kurz nach zwölf. Ein Mann war am Apparat. Der Stimme nach zu urteilen war es ein jüngerer Mann. Er bat Linda Bennet an das Telefon, und daraufhin ließ ich sie im Lokal ausrufen. Mehr kann ich dazu nicht sagen.«
»Nannte der Anrufer seinen Namen?«
»Nein, Sir.«
Ich bedankte mich und legte auf. Wir verabschiedeten uns von dem Mädchen und gingen. Als wir im Wagen saßen, wählte ich die Nummer von Linda Bennets Zeitungsredaktion. Ich ließ mich mit ihrem Vorgesetzten verbinden und erklärte ihm mit wenigen Worten, weshalb ich anrief. »Linda Bennet war Ihre Mitarbeiterin«, fuhr ich fort. »Hatten Sie engeren persönlichen Kontakt zu ihr? Wissen Sie, um genauer zu werden, ob sie verlobt war oder einen Freund hatte?«
»Sie war verlobt. Der junge Mann weilt augenblicklich in Zentralafrika. Er ist einer unserer zivilen Entwicklungshelfer, ein sympathischer, aufgeschlossener Bursche. Ich habe ihn einmal kurz kennengelernt. In sechs Monaten wird er zurückkehren… die beiden wollten nach seiner Heimkehr heiraten.«
Ich dankte für die Auskunft und beendete das Gespräch. »Es ist nicht anzunehmen, daß der Anruf aus Afrika kam«, sagte ich sarkastisch. »Ich wette, daß Linda den Anrufer gar nicht kannte. Sie wurde von ihm unter einem Vorwand in Rita Colbys Wohnung gelockt.«
Wir fuhren los. »Wohin?« fragte Phil.
»In die 77. Straße«, erwiderte ich. »Mal sehen, was wir dort erfahren.«
Eine Viertelstunde später sprachen wir mit Earl Cook, dem Hausmeister des kombinierten Büro- und Lagergebäudes, in dem ich während der vergangenen Nacht einige turbulente Stunden zugebracht hatte.
Cook war gleichzeitig Portier. Wir unterhielten uns mit ihm in der gläsernen Rezeptionsbox. Das Gespräch wurde wiederholt durch Anrufe und fragestellende Besucher unterbrochen. Cook war ein Kriegsveteran von etwa fünfundvierzig Jahren. Er trug eine Armprothese. »Das Haus hat elf Etagen«, erklärte er uns. »Es beherbergt
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