Jerry Cotton - 0517 - Am Broadway sind die Naechte heiss
ihn gegen die messerscharfen Holzkanten. Der plötzliche Schmerz war so heftig, daß ich den Mund aufreißen mußte, um etwas von dem Dampf abzulassen, dessen Überdruck mich in die Luft zu sprengen drohte.
»Jetzt habe ich dich!« keuchte der Schläger. »Ich nehme dich auseinander, du…«
Weiter kam er nicht.
Der Schmerz in meinem Arm war so groß, daß ich mich nicht damit aufhalten konnte, den Schläger zu warnen. Ich zielte und drückte ab. Er brüllte wie ein Besessener, als die Kugel aus unmittelbarer Nähe seinen Arm durchschlug. Er taumelte zurück.
Glücklicherweise dachte er nur an Flucht.
Ich blieb schwer atmend stehen, als ich ihn die Treppe hinabpoltern hörte.
Ich zog den Schlüssel ab und steckte ihn ein. Dann ging ich zurück ins Office. Ich griff nach dem Telefonhörer. Die Leitüng war tot. Das Kabel baumelte zerfetzt von dem Hörer herab. Ich warf den Hörer zur Seite und machte mich daran, das Kabel zu flicken. Zwei Minuten später hatte ich das zuständige Polizeirevier an der Strippe.
Ich sagte, was zu sagen war.
»Wir kommen, Sir!« antwortete der Lieutenant vom Dienst.
Ich schnappte mir mein Feuerzeug und meine Zigaretten. Dann steckte ich mir eine Camel an. Ich inhalierte tief und ließ mich in den Drehsessel am Schreibtisch fallen. Ich wartete.
Mir war klar, daß ich in meiner Aufmachung — Smokinghose und Unterhemd — nicht gerade gentlemanlike aussah, aber das spielte jetzt keine Rolle.
Mein linker Unterarm war zerkratzt und aufgeschürft. Er blutete an mehreren Stellen. Die Verletzungen brannten scharf. Ich schaute mich nach einer Hausapotheke um. In diesem Moment hörte ich die Schritte.
Es waren Schritte ganz besonderer Art. Es war ein helles, fast arrogantes Klicken, der aufreizende Rhythmus eleganter Damenpumps.
Die Schritte kamen geradewegs durch das Lager auf das Office zu.
Ich schob die Pistole in meine Hosentasche und stand auf. Das Klicken kam näher und machte dann plötzlich halt. Im Türrahmen stand Rita Colby.
***
»Hallo, schöne Frau!« sagte ich.
Das Prädikat traf zu. Rita Colby war schön. Sie hatte ungewöhnlich große Augen von graugrüner Farbe und starkem Ausdrucksvermögen. Das Girl starrte mich an, als sähe es einen Geist. »Mr. Cotton!« hauchte sie. »Sie hier?«
»Wen haben Sie denn erwartet?«
»Gewiß nicht Sie!« meinte das Girl. »Ich… ich erhielt einen Anruf.«
»Der Sie nach hier beorderte?«
»Ja. Ein Mann sprach mit mir. Ich bildete mir ein, daß es der gleiche war, mit dem ich schon heute mittag telefonierte — die Stimme hörte sich genauso an!«
»Wann sprachen Sie mit ihm?«
»Heute abend, so gegen neunzehn Uhr. Er rief mich zu Hause an. Er erklärte, daß er genau wüßte, wer mich töten wolle. Er sei bereit, fuhr er fort, mir den Tip zu verkaufen — für tausend Dollar.«
»Was antworteten Sie ihm darauf?«
»Ich war ziemlich erregt. Ich bat ihn, mir den Namen des Täters zu nennen, und fragte ihn, weshalb ich sterben sollte. Er war nicht bereit, mir ohne Bezahlung am Telefon eine Auskunft zu geben, und schlug mir dieses Office als Treffpunkt vor…«
»Warum haben Sie mir nichts davon erzählt, als wir uns vorhin am Times Square trafen?«
»Der unbekannte Anrufer nahm mir die Verpflichtung ab, keinem Menschen gegenüber ein Wort zu sagen. Ich habe mich nicht einmal Robby anvertraut. Stört es Sie, wenn ich rauche?« Sie wartete meine Antwort nicht ab und holte ein flaches goldenes Zigarettenetui aus der Handtasche. Als sie diesem eine Zigarette entnahm und zwischen die schillernden Lippen schob, zitterte ihre Hand. Ich gab dem Girl Feuer.
»Sie waren doch schon einmal hier, nicht wahr? Sie kennen doch das Büro!« Rita Colbys Augen rundeten sich. »Hier? Nein, ganz bestimmt nicht!«
»Ich vermute, daß das Lager Henry Philipp Porter gehört«, sagte ich.
»Davon wußte ich nichts!« meinte sie. »Henry besitzt so viele Firmen und Geschäfte. Er…« sie unterbrach sich und schluckte. »Daß ich nicht früher daran gedacht habe!« hauchte sie. Ich wußte, was sie zu sagen beabsichtigte, aber ich fragte: »Woran?«
»Es könnte eine Falle gewesen sein, nicht wahr?« meinte das Girl erschreckt.
»O ja«, erwiderte ich gelassen. »Das könnte zutreffen. Ich mache Ihnen einen Vorschlag, Miß Colby. Wir vergessen, was Sie bisher aussagten. Wir verzichten auf dieses alberne Theater und konzentrieren uns statt dessen auf die Wahrheit. Früher oder später wird sie nämlich doch herauskommen. Was wollten Sie
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