Jerry Cotton - 0530 - Mein grausamster Partner
wieder ab. Nach einem peinlichen Schweigen, das der Gangster nicht zur Kenntnis nahm, setzten die Gespräche zögernd wieder ein. Kider ging zur Theke. Wie von Zauberhand waren dort plötzlich einige Plätze freigeworden. Ein großer Mann mit roter Narbe am Kinn warf einen Dollar auf die Theke und verkündete mit lauter Stimme: »Ich gehe, Al, bei dir ist nicht mehr so gemütlich wie früher.«
Der Barmann schnitt aufgeregt Grimassen, wandte sich Kider zu und lächelte devot.
»Was darf es sein, Mr. Kider?«
»Whisky-Soda.« Er sah mich an. »Und du?«
»Das gleiche.«
»Sofort, Sir«, versicherte der Mann hinter der Theke eilfertig. Als er unsere Drinks hinschob, sah ich, daß seine Hände zitterten.
Die Männer, die noch an der Theke standen, rückten von uns ab. Die meisten versuchten, uns zu ignorieren. Trotzdem fing ich viele scheue Blicke auf.
Kider starrte auf seine Hände und schien in Gedanken versunken. In der hinteren Ecke des Lokals betätigte jemand die Musik-Box. Der Maschinenrhythmus eines Mexican-Beat übertönte die raunenden Stimmen.
Kider hob den Kopf. »Mach den Lärm aus!« befahl er dem Barmann.
»Sofort«, dienerte der Mann und sauste wie ein Wiesel zur Quelle der Musik. Ob er die Box zertrümmerte oder das Kabel aus der Wand riß, weiß ich nicht. Jedenfalls wurde dem Sänger mitten im Freudengeheul die Luft abgedreht, und wieder schwiegen die Gäste betreten.
Ich stand mit dem Rücken zur Tür. Ich hörte, daß mehrere Leute hereinkamen. Aber ich drehte mich nicht um. Doch dann bemerkte ich die entsetzten Gesichter in meiner Nähe. Plötzlich war die Stille vollkommen.
Kider beschäftigte sich mit seinem Drink. Auf dem Absatz machte ich langsam eine Kehrtwendung.
Drei Männer und eine Frau waren hereingekommen. Sie standen noch in der Nähe der Tür. Sie sahen uns an. Ihre Gesichter verrieten Abscheu und Ekel. Einer der Männer war der Redakteur Miller, die beiden anderen kannte ich nicht, und die Frau… Ich fühlte, wie sich mir das Herz zusammenkrampfte. Es konnte nur Evelyn Bellamy sein, Millers Verlobte. Er hatte mir erzählt, daß sie sehr hübsch gewesen war. Ich glaubte es ihm. Jetzt zierte sie nur noph ihr langes braunes Haar und die schlanke Figur. Das Gesicht war verwüstet, verätzt, die Haut von tiefen Rinnen zerfressen, wie ein Baum, den der Borkenkäfer befallen hat. Die Narben waren frisch. Evelyn Bellamy hatte versucht, sie mit Make-up und Puder zu verdecken. Aber es konnte nicht gelingen.
Ich sah sie nur ganz kurz an. Dann wandte ich den Blick, nickte Miller zu, vei’zog dabei keine Miene und hob das Glas an die Lippen.
Millers Gesicht, eben noch freundlich, verdüsterte sich. Sein Blick glitt zwischen Kider und mir hin und her. So wie wir standen, konnte es keinen Zweifel geben, daß wir zusammen gekommen waren und zusammen tranken.
Fragend schoben sich Millers Brauen hoch. Aber ich reagierte nicht, sah ihn ausdruckslos an, wohlwissend, daß mich Kider in dem Spiegel hinter der Bar beobachtete. Und richtig… Jetzt hob mein Boß die Hand. Er schnippte mit den Fingern und sagte zum Barmann: »Noch einen Drink für meinen Freund und mich.«
Miller hörte das, nahm sein Mädchen am Arm und zog es weiter. Die beiden Männer folgten ihm. Sie kamen an uns vorbei. Miller blieb stehen, maß mich von Kopf bis Fuß. Dann spuckte er vor mir aus.
Kalt sah ich ihn an.
Kider drehte sich um. »Was soll das?«.
Miller antwortete nicht. Aber in seinem Blick lag alle Verachtung, zu der er fähig war. Ohne sich weiter um uns zu kümmern, gingen die vier weiter. Sie setzten sich an einen Tisch, an dem mehrere Paare auf sie warteten.
»Kennst du den Lümmel?« fragte Kider.
»Ich habe mich gestern kurz mit ihm unterhalten, als ich hier ankam.«
»Ein Denkzettel scheint ihm nicht zu genügen.«
»Wie meinen Sie das?« fragte ich.
»Nichts.« Er trank sein Glas aus, warf zwei Dollar und ein 50-Cent-Stück auf die Theke und stieß sich von der chromblitzenden Einfassung ab. »Gehen wir.«
Ich war mit meinem zweiten Drink noch nicht fertig. Aber Kider marschierte zur Tür. Für ihn war es selbstverständlich, daß ich sofort folgte.
Ich hörte Getuschel hinter mir. Ich ahnte, was die Leute dachten.
Dann saßen wir im Wagen, und Kider fuhr hinaus zu seinem Landsitz. Jetzt, bei Tageslicht, konnte ich die Landschaft genießen. Ich sah all das, wovon mir Fred erzählt hatte. Als wir durch das Tor fuhren, fühlte ich mich verdammt unbehaglich. Wenn es nun doch ein Bluff war?
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