Jerry Cotton - 0559 - Die Hexendroge
wieder ein, knöpfte seinen Mantel zu und hockte neben der Leiche. Er mußte aufstehen, weitergehen, sehen, daß er auf eine befahrene Straße stieß oder an ein bewohntes Haus kam, wo es ein Telefon gab, aber er hatte nicht mehr die Kraft, sich hochzustemmen und den Kampf gegen den brausenden Sturm von neuem aufzunehmen. Eine warme Müdigkeit pulste schwer und dickflüssig durch seine Adern. Es war auf einmal nicht mehr kalt. Er hätte sich in den puren Schnee legen und sofort einschlafen können. Aber noch gab es einen Rest von Energie in ihm. Er wußte, daß es sein Tod war, wenn er sich jetzt der Müdigkeit hingab. So widerstand er zwar der Versuchung, sich hinzulegen, aber er brachte auch nicht die Energie auf, aufzustehen und seinen Weg fortzusetzen. Er hockte stumpf und erschöpft neben dem Leichnam.
Bis er plötzlich in dem Schneetreiben droben auf der Straße ein Licht sah. Ein Licht, das sich allmählich näherte. Er blinzelte trübe die Straße hinauf. War es wirklich ein Licht, das da langsam herankroch? Oder hatte er schon Halluzinationen?
Nein, es war keine Täuschung. Da kam ein Auto. Langsam kroch es gegen den tobenden Sturm heran. Sehr langsam. Manchmal schlingerte es ein wenig, aber es blieb auf der Fahrbahn.
Jetzt war es nur vier Yard von ihm entfernt zum Stehen gekommen. Dylan schielte unendlich müde hinüber. Nehmt mich mit, dachte er. Packt mich meinetwegen in den Kofferraum. Nur laßt mich irgendwo schlafen. Ich kann nicht mehr. Ich bin fertig. Ich weiß nicht, was ich alles erfroren habe, aber ich weiß, daß ich nicht mehr kann. Ich bin am Ende.
Aus dem Wagen kam ein Mann heraus. Auf der Fahrerseite. Er stemmte sich vorgebeugt gegen den Sturm an und umrundete den Kühler des Wagens. Im Scheinwerferlicht sah Dylan deutlich die grün-braun karierte Hose und das braune Jackett. Diese bunte Hose hatte er doch schon einmal gesehen? Wo war das doch gewesen?
Plötzlich wußte er es. Die jähe Erkenntnis vertrieb seine Müdigkeit. Er wußte wieder, wo er diese unmögliche Hose gesehen hatte. Im Flugzeug. Einer der maskierten Männer hatte sie getragen, von denen sie ausgeraubt und gefesselt worden waren.
Aber warum kamen sie zurück? Dylan überlegte. Diese Männer hatten den Mann erschossen, der neben ihm im Schnee lag. Sie waren nicht nur Räuber, sie waren auch Mörder. Warum kamen sie zurück?
Er konnte nicht wissen, daß sie es nicht absichtlich getan hatten. Daß der Sturm ihren Wagen auf der Straße so oft herumgewirbelt hatte, bis sie jedes Richtungsempfinden verloren hatten. Daß sie nach einer solchen Wirbelei weitergefahren waren, in dem Glauben, sie befänden sich noch in der ursprünglichen Fahrtrichtung. Das konnte Bolder Dylan nicht wissen. Was er wußte, war freilich, daß diese Männer Gangster und Mörder waren. Und wenn sie zurück zum Flugzeug wollten, konnte es, soviel war sicher, für die Passagiere nichts Gutes bedeuten.
Ich muß sie aufhalten, dachte er. Sie dürfen nicht bis zum Flugzeug kommen. Wer weiß, was sie dort Vorhaben. Etwas Gutes bestimmt nicht. Jedenfalls dürfen sie nicht bis zur Maschine kommen.
Er stemmte sich hoch. Der Mann vor ihm stand jetzt ohne Maske da, und Dylan wunderte sich über das alltägliche Gesicht, das er im Licht der Scheinwerfer gut erkennen konnte.
»Ich habe eine Leiche gefunden«, krächzte Dylan und wies hinter sich. »Muß schon eine Stunde oder so im Schnee liegen. Ist schon ganz gefroren.«
Ed Marik erkannte den Neger aus dem Flugzeug. In seinem Kopfe jagten sich die Gedanken. Der Kerl war offenbar zu Fuß unterwegs. Wie kam er dann auf die Straße, wo sie sich jetzt befanden? Er konnte doch zu Fuß nicht schneller gewesen sein a}s sie mit dem Wagen.
»Wo ist die Leiche?« fragte Marik.
Dylan wies auf den Hügel von Schnee, der sich schon wieder über dem toten Körper gebildet hatte.
Marik stieg in den Wagen, setzte ein Stück zurück und schwenkte ein, so daß die Scheinwerfer auf die Stelle fielen, die Dylan gezeigt hatte. Danach stieg er wieder aus und schaufelte mit den bloßen Händen Schnee beiseite.
Dylan stand hinter ihm und sah zu. Noch immer beschäftigte ihn nur das eine Problem: Wie kann ich verhindern, daß sie wieder zurück zum Flugzeug kommen?
Er stapfte auf den Wagen zu, während Marik noch immer im Schnee wühlte.
»Machen Sie mal den Kühlerverschluß auf«, sagte Dylan zu einem der beiden Männer, die im Wagen geblieben waren.
Der Sturm war ein wenig abgeflaut. Dylan wunderte sich, daß alles so
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