Jerry Cotton - 0559 - Die Hexendroge
ausgelöscht.
»Vielleicht sind wir von der Straße abgekommen?« schrie Winter.
»Du Idiot!« brüllte Walsh. »Da sind doch die Bäume!«
»Aber die waren doch vorhin links von uns! Und jetzt sind sie rechts!«
»Die waren nie links!« schrie Walsh. »Natürlich waren sie auf der linken Seite!« beharrte Winter.
Walsh gab ein wenig mehr Gas. Aber bewegte sich denn ihr Wagen überhaupt noch? Und wenn er sich bewegte, tat er es aus eigenen Antriebskräften? Oder wurde er nur noch vom Sturm vor sich hergeschoben?
Sie hatten der Kälte wegen das Warmluftgebläse eingeschaltet. Sein Summen untermalte das heulende Tosen des Sturmes. Trotz der geschlossenen Fenster mußten sie brüllen, wenn sie sich verständlich machen wollten. Eine Sturmbö wirbelte den Buick herum. Jetzt war von Bäumen nirgendwo mehr etwas zu sehen. Walsh zog den Fuß vom Gaspedal. Er hatte jedes Gefühl dafür verloren, ob der Wagen fuhr, ob er stand oder ob der Sturm ihn willkürlich in irgendeine Richtung trieb.
»Schalte das Gebläse aus!« brüllte Mallott. »Das geht doch nur über die Batterie!«
»Quatsch!« rief Winter. »Das macht die Lichtmaschine! Doch nicht die Batterie!«
»Du siehst doch, daß die Ladelampe aufleuchtet!«
»Willst du hier drin erfrieren?«
Sie waren mit ihren Nerven am Ende, aber niemand von ihnen hätte es zugegeben. Wußte jetzt die Polizei schon von ihrem tolldreisten Coup mit dem Flugzeug? Wurden schon Straßensperren errichtet? Konnten sie überhaupt etwas machen bei diesem tobenden Blizzard?
Eine neue Bö riß den Wagen wild herum. Das Heck und die linke Seite hoben sich, als sei es nur ein leichtes Spielzeugauto. Mallott brüllte irgend etwas, das niemand verstand. Walsh krampfte sich am Steuer fest. Winter flog mit dem Kopf gegen die Windschutzscheibe.
Wenn ihr Gleichgewichtssinn sie nicht trog, mußte der Wagen mit dem Kühler voran in eine Senke gerutscht sein, die von einer Schneewehe zugedeckt gewesen war. Jetzt steckte der Buick bis fast zur Windschutzscheibe im dichten Schnee, während der hintere Teil des Wagens schräg emporragte und dem Sturm noch genug Angriffsfläche bot, daß er an dem Gefährt rütteln und reißen konnte.
»’raus!« brüllte Walsh in auf keimender Panik. »Wir müssen den Schlitten freischaufeln — oder wir werden hier verrecken! Los, ’raus!«
Dichte, undurchdringliche Finsternis umgab sie. Die Scheinwerfer vorn waren im Schnee der Senke begraben. Das Armaturenbrett mit seiner fahlen Beleuchtung warf bläuliche, gespenstische dünne Lichtflächen auf ihre angstverzerrten Gesichter. Winter rieb sich die Stirn. Er hatte eine kleine Platzwunde vor der rechten Schläfe, aus der ein dünner Blutstreifen ihm die Wange hinabsickerte.
Walsh machte sich an der Tür zu schaffen. Der Sturm drückte dagegen. Walsh warf sich mit seinem ganzen Körpergewicht gegen die Tür, während er gleichzeitig den Griff drückte. Irgend etwas klemmte. Walsh versuchte es ein zweites Mal.
Plötzlich flog die Tür auf. Der von hinten heranrasende Sturm fand eine querstehende Fläche. Er hieb sie mit unerbittlicher Gewalt weg. Die Tür wurde aus den kreischenden Angeln gerissen und davongewirbelt. Walsh blieb die Luft weg, als ihn plötzlich die ganze Eiseskälte des Blizzards überfiel. Er stemmte sich mühsam hinaus. Als er sich aufrichten wollte, hieb ihm der Blizzard mit einer neuen Bö in den Rücken wie mit einer unendlich großen Faust. Walsh flog mit der Stirn gegen die Dachkante. Er drückte sich instinktiv vom Wagen ab, fühlte einen jähen Schmerz durch sein Hirn pulsen, ließ den schützenden Halt des Wagens los — und wurde ein zweites Mal mit dem Kopf gegen die Dachkante geschleudert. Es war der mörderische Schlag tobender Urgewalten. Walshs Schädel zerbarst an der harten Chromstange der Dachkante. Und als wollte der Sturm ein makabres Spiel mit ihnen treiben, schleuderte er ihnen Walshs sterbenden Körper auf den Vordersitz zurück.
Mallott schlug mit beiden Fäusten auf den Körper ein, der plötzlich auf ihn stürzte. Es dauerte lange, bis er merkte, daß er auf einen Toten einschlug. Dann erst verstand er, daß es Walsh sein mußte, der reglos und stumm halb über der Steuersäule lag. Mallott schrie und schrie vor irrsinnigem Entsetzen. Winter brüllte verzweifelt auf ihn ein. Über ihre kläglichen Menschenstimmen hin heulte, tobte, brauste und brüllte der Sturm und warf mit jedem neuen Atemzug Wolken von Schnee und eisiger Kälte in den offenen Wagen. Da war ein
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