Jerry Cotton - 0560 - Den Tod auf Flaschen gezogen
zu machen. Wenn ich sie richtig beurteilte, gehörte sie zu den Girls, die auf Anhieb begeistern, obwohl sie nur geringe geistige und charakterliche Werte zu bieten haben. Sie bestand aus viel Verpackung und wenig Inhalt. Sie war ein Mädchen, mit dem man sich zeigen und amüsieren konnte, aber für die Ehe war sie ungefähr so tauglich wie eine Schaufensterpuppe. Nun, ich war nicht hier, um sie zu heiraten. »Ich suche Hank«, teilte ich ihr grinsend mit. »Bin ein alter Freund von ihm.«
»Hank Connors?« fragte sie. »Ich habe ihn seit gestern nicht gesehen.« Sie führte mich in das Wohnzimmer. Es war ein großer Raum mit brandneuen Möbeln, alles sehr modern und leicht unterkühlt, ganz auf Repräsentation angelegt. Wenn man Behaglichkeit schätzte, saß man hier auf dem falschen Dampfer.
Ich schenkte der großen Hausbar einen respektvollen Blick. Die Spirituosenmarken ließen erkennen, daß Vivian gut und gern dreihundert Dollar für die Ausrüstung ihrer kleinen Privatkneipe investiert hatte.
Nun, Modelle verdienen viel Geld, und meistens haben sie Freunde, die davon noch mehr besitzen. »Wo finde ich ihn?« fragte ich Vivian. Sie trat hinter den Bartresen. Für meinen Geschmack wedelte sie ein bißchen zu stark mit den Hüften, aber sicherlich gab es Leute, die diese Masche aus den Socken stieß.
»Wollen Sie mir nicht sagen, wie Sie heißen?« fragte Vivian. Sie hatte keine unangenehme Stimme. Dumm war nur, daß sie in diese Stimme ein aufregendes Timbre hineinzulegen versuchte, das sie von Natur aus nicht besaß. Sie hatte eine gute Figur und ein hübsches Gesicht — alles andere war künstlich, angefangen bei dem viel zu blond gefärbten Haar.
»Ich heiße Jerry«, teilte ich ihr mit. »Hank hat Ihnen gewiß schon von mir erzählt.«
»Schon möglich«, meinte sie und schenkte mir ein Zahnpasta-Werbungslächeln. »Ich bin eine schlechte Zuhörerin — es sei denn, man wird sehr persönlich.« Die letzten Worte flüsterte sie. Wäre sie weniger attraktiv gewesen, hätte es komisch gewirkt. Ich schob mich auf einen der Barhocker. »Whisky?« erkundigte sie sich.
»Einen doppelten«, protzte ich, obwohl es keineswegs in meiner Absicht lag, mehr als einen Schluck davon zu nehmen. Mir fehlte Schlaf, und ich hatte nichts Vernünftiges im Magen. Draußen war es glühendheiß. Wenn ich nicht aufpaßte, würde ich aus den Schuhen kippen. Zum Glück sorgte im Wohnungsinnern eine Klimaanlage für angenehme Temperaturen.
Ich sah zu, wie das Girl die Gläser mit Eis und Whisky füllte. Ihren Bewegungen war anzumerken, daß sie Übung darin hatt#. Sie schob mir ein Glas zu. »Ich verstehe, daß Hank Sie mir bislang vorenthielt«, kicherte sie. »Sie könnten ihm gefährlich werden.«
Und ob, Baby, dachte ich grimmig — aber anders, als du es dir vorstellst!
»Er wollte sich gestern bei mir melden — mit den Mäusen«, behauptete ich.
»Wann?«
»Gestern abend. Ich habe vergeblich auf seinen Anruf gewartet.«
»Ich weiß nur, daß er eine wichtige Sache erledigen wollte. Danach hatte er vor, mich zu besuchen — aber er kam nicht.«
»Eine Schande«, bemerkte ich grinsend.
Wieder produzierte sie das Reklamelächeln. »Ihnen glaube ich, daß Sie Verständnis für die Nöte eines sehnsuchtsvollen Frauenherzens haben.«
»Rundherum«, nickte ich ernst. »Frauen läßt man nicht warten. Schon gar nicht, wenn ein Girl Ihres Formats im Spiel ist. Sie haben das gewisse Etwas, Vivian — ich darf doch Vivian sagen?«
Für das alberne Kompliment tauchte ich meine Stimme gleichsam in Honig. »Ich wäre beleidigt, wenn Sie es nicht täten!« hauchte mir Vivian ins Gesicht. Ihr Atem verriet, daß sie die Vorzüge der Hausbar schon vor meinem Auftauchen gewürdigt hatte.
Ihr Blick wurde mir um eine Schattierung zu schwül. Ich griff nach dem Glas und schwang mich auf dem Hocker herum, um die Einrichtung zu studieren. »Der gute Hank — er hat bewiesen, daß er Ihren Wert zu, schätzen weiß!« sagte ich beeindruckt. »Er gab Ihrer Schönheit den passenden Rahmen.«
»Könnten Sie das auch?« erkundigte sich Vivian mit belegt klingender Stimme.
Ich zuckte mit den Schultern. »Kommt ganz darauf an.« Vivian kam um den Bartresen herum. Sie durchquerte den Raum und trat an das Steuergerät einer Stereoanlage, die in ein Wandregal eingebaut war. »Das ist das Tollste!« schwärmte sie. »Hören Sie zu, Jerry — Pat Boone!«
Die Fünfzig-Watt-Anlage pumpte den Raum voll durchsichtiger, kristallklarer, schwingender
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