Jerry Cotton - 0560 - Den Tod auf Flaschen gezogen
vor?«
»Ich bin nicht so abgebrüht, wie du zu glauben scheinst«, meinte Vivian schwer atmend. »Ich will mich auch in Zukunft hier wohl fühlen. Ich lebe hier! Ich würde glatt durchdrehen, wenn ich wüßte, daß hier ein Mord verübt worden wäre.«
»Sehr zartfühlend!« spottete der Mann. Er durchquerte das Zimmer. Dicht hinter mir blieb er stehen. Hart rammte er mir eine Waffenmündung in den Rücken. Dann begann er mich abzuklopfen. Sein scharfer Atem strich an meinem Ohr vorbei. Er leistete gründliche Arbeit. »Cotton hat nur die Kanone in der Schulterhalfter«, stellte er fest. »Ziehen Sie sie heraus und lassen Sie sie fallen, Cotton… und vergessen Sie nicht, daß mein Finger am Druckpunkt liegt.«
Ich gehorchte.
»Kicken Sie den Revolver hinüber zu Vivian«, forderte er. Ich tat, was er sagte. Das Girl hob den Smith and Wesson auf. »Bringen wir Cotton zu dem anderen!« schlug sie vor.
»Zu Dillaggio? Du bist verrückt, Honey. Einer von der Sorte genügt.«
»Ich bleibe dabei, daß es idiotisch war, einen G-man hopp zu nehmen«, maulte das Girl.
»Ruf Allan an«, sagte der Gangster barsch. »Er soll schnellstens herkommen. Anschließend machen wir mit Cotton einen Trip ins Grüne.«
Das Telefon schrillte. Vivian zuckte zusammen. Ich sah, wie nervös sie war.
Zusammen mit vier Männern und zwei Frauen hatte sie eine Millionenbeute ergattert. Nun lernte sie, welche Konsequenzen die Tat hatte. Dabei stand sie erst am Anfang der bitteren Lektionen.
Myrna Collins, Cynthia Swift und Vivian Cumbers — das waren die Girls der Bankräuber.
Myrna hatte den Reigen der Opfer eröffnet. Cynthia war von einer rivalisierenden Bande entführt worden. Parker und Connors lagen schwerverletzt im Hospital. Die Hälfte der Beute war zusammen mit Cynthia verschwunden. Übrig geblieben waren nur Vivian und zwei Männer.
»Nimm das Gespräch an«, sagte das Girl.
Ich drehte den Kopf herum und sah den Mann zum Telefon gehen. Er war etwas über mittelgroß und hatte sehr blondes kurzgeschnittenes Haar. Alles an ihm wirkte grobgehauen und kantig, vor allem das Kinn, die vorspringende Stirn und der weit ausladende Hinterkopf. Der Bursche war etwa achtundzwanzig Jahre alt.
»Ja?« meldete er sich, nachdem er den Hörer abgenommen hatte. Sein teurer, stahlblau schimmernder Anzug aus Mohair und Seide paßte ihm zwar ausgezeichnet, aber irgendwie hatte man das Gefühl, daß er nicht hineingehörte. Popelinehosen und ein legeres Strickhemd hätten ihm besser zu Gesicht gestanden.
Das Girl starrte mich an. Es hielt meinen Revolver auf mich gerichtet. Auch der Mann ließ mich nicht aus den Augen.
»Das ist nicht wahr!« stieß er hervor und wurde blaß. Er umspannte den Hörer so fest, daß seine Knöchel weiß und spitz hervortraten. »Ich glaube es nicht…« Er fiel förmlich in sich zusammen. »Okay«, meinte er matt, nachdem er eine weitere Minute zugehört hatte. »Wir kommen. Ja, ich habe verstanden. Wir kommen nicht allein. Ein G-man ist bei uns. Wir müssen ihn mitnehmen. Du erfährst später, warum.« Er legte auf.
»Was gibt es?« fragte das Girl.
»Allan meint, wir müßten abhauen. Sofort. Die Hälfte des Geldes ist verschwunden. Geraubt. Vier Millionen!« Er sah fast so aus, als ob er weinen wollte.
»Nein!« hauchte Vivian. Sie begann zu zittern. Ihre Backenmuskeln spannten sich.
»Cynthia hat gesungen«, murmelte der Mann. »Sie wird alles sagen, was sie weiß — wenn es nicht schon passiert ist! Wir können es uns nicht leisten, noch länger in New York zu bleiben. Wir müssen verschwinden — und zwar rasch!«
»Wie stellst du dir das vor? Wo wollen wir hin?«
»Ich weiß es nicht. Erst einmal weg von hier. Hier suchen sie uns doch zuerst! Mit dem, was uns geblieben ist, können wir überall leben. Gut leben!«
»Und was geschieht mit Hank?«
»Zum Teufel mit Hank!« stieß der Mann hervor. »Ich kann ihm nicht helfen. Jetzt müssen wir an uns denken.«
»Das ist nicht dein Ernst?«
»Hast du einen besseren Vorschlag?« fragte er. »Wir können nichts für Hank tun. Nicht von hier aus. Cynthia ist entführt worden. Sie hat gesungen. Verdammt noch mal, fällt es dir denn so schwer, die Konsequenzen zu erkennen?« Die Stimme des Mannes klang wie gehetzt. »Noch haben wir die Piepen, Honey. Vier Millionen für uns drei. Das reicht doch, oder?«
»Mir ist es egal, was mit Daddy Parker oder mit Cynthia geschieht«, meinte Vivian, »aber wir dürfen sie uns nicht zu Feinden machen. Wenn sie
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