Jerry Cotton - 0575 - Die Diamanten-Killer
hinauf, ließen die Strickleiter auf der anderen Seite hinab und beförderten ihre Sachen hinunter.
Zwischen der Mauer und der nächstgelegenen Fabrikhalle gab es einen etwa sechs Yards breiten Gang. Links hinten lag das Kesselhaus mit dem hohen Schornstein. Von draußen, vom East River her, ertönte das gellende Tuten eines Schleppers. Der Hafen kam auch nachts nicht zur Ruhe. Ihnen konnte jedes Geräusch nur recht sein.
»Los!«, rief Ed.
Sie huschten mit ihrem Gepäck schnell über die freie Fläche und drückten sich atemlos an die Wand der Fabrikhalle.
»Die Masken!«, befahl Ed leise.
Blender zerrte sie schon aus der Tasche hervor.
»Wozu eigentlich?«, fragte er.
»Wenn der Wächter wider Erwarten doch auftauchen sollte, du Idiot! Er muss ja nicht unbedingt unsere Gesichter sehen!«
Sie streiften die Masken über. Ihre Nasen wurden von dem stramm sitzenden Gummi platt gedrückt. Ed zeigte nach vorn. Am hinteren Ende der Halle gab es eine Tür, über der eine Lampe brannte.
»Da müssen wir hinein«, sagte er mit einer Stimme, die von der Maske dumpf verfärbt wurde.
»Schlüssel?«, flüsterte Blender.
»Dietrich«, sagte Ed. »Das Schloss ist alt und billig. Mehr eine Formsache. Die verlassen sich doch auf ihre Alarmanlage.«
»Hoffentlich«, knurrte Blender.
»Los. Aber leise!«
Sie huschten dicht an der Wand der Fabrikhalle entlang. Links von ihnen zog sich die hohe Mauer entlang, über die sie gekommen waren. Von der Straße her ertönte das Geräusch eines näherkommenden Autos. Unwillkürlich blieben sie stehen und lauschten.
Der Wagen fuhr durch die Straße, ohne anzuhalten. Sie hörten, wie sich das Summen seines Motors in der Feme verflüchtigte. Mit einem Wink trieb Ed sie weiter. Ungefähr acht Yards von der Tür entfernt kauerten sie wieder nieder. Nur Ed ging weiter. Er beugte sich vor und schob seinen Dietrich lautlos in das Türschloss.
Sie hörten niemand kommen, aber auf einmal traf sie alle eine laute Stimme. »Was machen Sie denn da?«
Sie fuhren hemm, Ed verlor den Dietrich, der auf die Betonstufe vor der Tür fiel und laut klirrte. Das metallische Geräusch kam ihnen wie ein Donnerschlag vor. Der Nachtwächter stand am Ende der Halle und hob seinen starken Stabscheinwerfer.
»Jetzt kriegen wir doch noch ein bisschen Spaß«, sagte Sadie Blender mit einer Stimme, die Jim Cartney frösteln ließ. Und dann sprang Sadie vor.
***
Steve Winston hatte sich eine Ecke herausgesucht, die es ihm erlaubte, drei Seiten der lang gestreckten Fabrikhalle und zwei der danebenliegenden kleineren Halle im Auge zu behalten. Außerdem verließ er sich auf sein geschärftes Gehör - und auf etwas, das niemand beschreiben konnte, er selbst am allerwenigsten. Vielleicht war es ein in sechsunddreißig Jahren geschärfter Instinkt, ein sechster Sinn, die Fähigkeit, Dinge zu ahnen, die man objektiv noch gar nicht wissen konnte. Natürlich gab es bei den wenigen Anhaltspunkten, die Steve Winston hatte, keine Sicherheit dafür, dass er nicht vergeblich hier herumstand. Und dennoch wusste Steve Winston, dass sie kommen würden. Er wusste es mit der Gewissheit, mit der man um den kommenden neuen Tag weiß.
Ein metallisches Klicken ließ ihn aufmerksam werden. Es war, als ob sich alle Muskeln in seinem Körper plötzlich spannten. Alle Sinne waren schlagartig wach und von konzentrierter Aufmerksamkeit erfüllt. Winston duckte sich tiefer hinter den Kistenstapel, den er sich als Warteposition ausgesucht hatte, aber er reckte den Kopf vor, witternd und lauernd.
Das Klirren wiederholte sich. Und dann sah Revierdetective Steve Winston eine schemenhafte Gestalt auf der Mauerkrone auftauchen. Irgendwelche Gepäckstücke wurden der Gestalt von jenseits der Mauer hinaufgereicht, und der Schatten baute sie vor sich auf der breiten Mauer auf. Dann kamen andere Gestalten hinzu, eine Strickleiter wurde auf der Innenseite der Mauer hinabgelassen, und die dunklen Figuren glitten hinunter.
Steve Winston spürte, wie seine Kehle trocken wurde. So ging es ihm jedes Mal, wenn das Warten ein Ende fand, weil die Erwarteten kamen. Er hatte immer eine trockene Kehle, wenn die letzten paar Minuten vor dem direkten Zugriff angebrochen waren.
Ich werde abwarten, wo sie einbrechen, dachte er. »Festnahme erfolgte auf frischer Tat«, das machte sich immer gut, wenn man die Akten für die Staatsanwaltschaft vorzubereiten hatte. Er schob sich ein wenig nach links, um besser sehen zu können, wie die schemenhaften Gestalten
Weitere Kostenlose Bücher