Jerry Cotton - 0575 - Die Diamanten-Killer
Anwesenheit wussten. Dann natürlich konnte bei dem Einbruch irgendetwas schiefgehen. Es kann immer irgendetwas schiefgehen. Und der Teufel mochte wissen, ob dieser Cartney mit seinem angeblich unfehlbaren Apparat sie nicht doch hereinlegen würde.
Nicky fühlte, wie ihm der Schweiß ausbrach. Er war kein Freund von geregelter Arbeit, aber wenn man dann hin und wieder einen Coup ausführte weil man ja doch an die Dollars kommen musste, die man zum Leben nun einmal brauchte, dann wünschte er sich jedes Mal, er führte nicht dieses Leben. Die Aufregung brachte ihn jedes Mal ins Schwitzen.
Wenn man wenigstens einen Schnaps hätte, dachte er. Oder eine Flasche Bier. Er würde sogar eine Flasche Rotwein austrinken. Schon allein, weil es eine gewisse Ablenkung darstellen konnte. Aber wo sollte er hier…Wieso eigentlich nicht? Dies war die Wohnung von ordentlichen Leuten, von einem Kerl, der als Prokurist bestimmt ein ansehnliches Gehalt bezog. Die hatten doch bestimmt etwas Trinkbares im Haus. In einer Hausbar oder im Kühlschrank oder sonst wo.
Nicky begann, sich im Wohnzimmer umzusehen. Der Blick aus den Augen der eingeschüchterten Frau irritierte ihn. So ängstlich hatte seine Schwester damals auch geblickt, als die drei jungendlichen Gangster in ihre Wohnung eingedrungen waren, damals, als Nicky noch keine acht Jahre alt gewesen war, drüben in den Slums von Brooklyn, wo die Italiener sich mit den Griechen schlugen, die Griechen mit den Russen, die Russen mit den Polen und so weiter und so fort.
Nicky beschloss, seine Suche in der Küche fortzusetzen. Wenn er die Tür zum Wohnzimmer offen ließ, konnte gar nichts passieren, aber er brauchte nicht dauernd mit dem Gefühl herumzulaufen, von vier ängstlichen Augenpaaren auf Schritt und Tritt verfolgt zu werden. Sie waren alle gefesselt, das Ehepaar und die Kinder - was konnten sie schon unternehmen, solange er in der Wohnung war?
Er schlenderte in die Küche. Im Kühlschrank fand er einen Tragekarton mit sechs Dosen Bier. Er stieß zufrieden einen Seufzer der Erleichterung aus, während er die erste Bierdose aufriss, und an den Mund setzte. Nachdem er sich mit dem Handrücken den Mund abgewischt hatte, zündete er sich eine Zigarette an. Auf der Anrichte lag ein Comic-Heft. Nicky zog es heran. Comics waren sein Fall.
Edward Elleroy hatte die ganze Zeit über krampfhaft darüber nachgedacht, was er tun könnte, um die Initiative an sich zu reißen. Er machte sich die bittersten Vorwürfe, weil er den Verbrechern den Tresorschlüssel ausgehändigt hatte. Aber er hatte keine andere Wahl gehabt. Das Leben seiner Frau, seiner Kinder - was hätte er denn tun sollen?
Und dennoch. Der Schlüssel war ihm von der Chefin anvertraut worden. Einer von zwei Schlüsseln, die den Zugang zu einem Vermögen eröffneten. Zu den Rohdiamanten, die das Arbeitsmaterial ihrer ganzen Firma waren.
Elleroy beobachtete den stiernackigen jungen Mann in der Lederjacke. Der Kerl war nervös, darüber gab es keinen Zweifel. Elleroy fing an zu rechnen. Von hier bis zur Firma. Dort müssten sie vielleicht noch den Schlüssel der Chefin besorgen, wenn sie ihn nicht schon hatten. Mit einem Schlüssel allein konnten sie jedenfalls nichts anfangen. Und der Nachtwächter musste auch noch ausgeschaltet werden. In dieser Nacht würde Evans Dienst tun. Evans mit seinem Schäferhund, mit dieser scharfen Bestie, die nicht einmal Futter von einem anderen Menschen als von Evans annahm. Es war sehr zweifelhaft, wie die Gangster mit Evans und dem Hund fertig werden wollten. Und außerdem war da doch noch der Strahlenschutz vor dem Zugang zum Tresor. Zwischen Decke und Fußboden sechsunddreißig unsichtbare Strahlen. Durch die Zwischenräume hätte vielleicht ein Vogel schlüpfen können, aber niemals ein erwachsener Mensch. Es konnte den Kerlen gar nicht gelingen. Denn man konnte die Alarmanlage vor sieben Uhr früh gar nicht ausschalten. Sie war mit der Kontrolluhr gekoppelt. Vielleicht wusste jemand von der Herstellerfirma, wie man die Anlage auch unabhängig von der Uhr außer Betrieb setzen konnte, Elleroy jedenfalls wusste es nicht. Und die Chefin auch nicht. Aber wenn nun jemand von der Firma, die die Alarmanlage installiert hatte… Das war wohl die einzige Möglichkeit. Elleroy bemerkte, dass er ebenso ins Schwitzen gekommen war wie der Bursche, der sie bewachte.
Die Fesseln drückten an den Handgelenken. Elleroy hatte kaum noch Gefühl in den Fingern. Edward Elleroy reckte sich ein wenig. Der
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