Jerry Cotton - 0577 - Staatsempfang fuer einen Moerder
er?«
»Keine Ahnung. Es interessiert mich auch nicht.«
»Gibt es Leute im Haus, mit denen er enger befreundet ist?« fragte ich sie.
»Ich arbeite als Cutterin in einem Studio für Werbefilme«, sagte sie nicht ohne Stolz. »Ich mache oft Überstunden und komme abends oft spät nach Hause. Sie haben Glück, daß Sie mich heute antreffen. Ich will damit sagen, daß Mr. Wade meistens schon unterwegs ist, wenn ich eintreffe.«
»Welchen Ruf hat er unter den Hausbewohnern?«
»Einen guten, soviel ich weiß. Er ist jung und geht gern aus, aber das trifft wohl für die meisten jungen Leute seines Alters zu. Wie ich schon sagte, ist er ein kleiner Angeber — aber ansonsten könnte er keiner Fliege was zuleide tun. Dafür habe ich einen Blick.« Ich sah plötzlich die Bewegung im Glas des Wohnzimmerschrankes. Zuerst sah ich die Hand, die sie um den hölzernen Rahmen der offenen Wohnzimmertür legte, dann folgte ein Kopf nach, ganz kurz nur. Auf dem Kopf saß ein Hut, so daß ich in dem spiegelnden Glas nicht das im Schatten der Krempe liegende Gesicht erkennen konnte.
Der Kopf zog sich wieder zurück. Auch die Hand verschwand wieder. Ich gab mich gelassen und tat so, als ob ich nichts bemerkt hätte. Myriam Gay setzte ihre unverbindliche Plauderei fort. Sie schickte gelegentlich einen raschen Blick zur offenen Tür. Sie wußte offenbar, wer sich in der Diele befand, aber sie versuchte, es vor mir zu verbergen. Sie redete nur ein bißchen schneller und lauter, zweifelsohne mit der Absicht, mich daran zu hindern, irgendwelche Geräusche zu registrieren, die der Mann in der Diele verursachen mochte.
Ich fragte mich, weshalb sie daran interessiert war, ihren Besucher vor mir versteckt zu halten. Myriam Gay war jung und frei; niemand konnte sie daran hindern, in ihrem Apartment männliche Besucher zu empfangen.
Ich hörte das kaum wahrnehmbare Einschnappen der Wohnungstür. Im nächsten Moment war ich auf den Beinen. Ich sprintete durch das Wohnzimmer in die Diele.
»Aber, G-man!« rief mir das Girl atemlos hinterher. »Was ist denn plötzlich in Sie gefahren?«
Ich verkniff mir die Antwort und riß die Wohnungstür auf. Ich sah gerade noch, wie ein männlicher Fuß in Wades Wohnung verschwand. Er war mit einem eleganten, ziemlich auffälligen Wildlederschuh bekleidet.
Mit drei schnellen Schritten hatte ich Wades Apartmenttür erreicht. Im nächsten Moment stand ich dem Mann gegenüber, den ich suchte. Hank Wade wich mit einem törichten Lächeln vor mir zurück. Von der selbstsicheren Überheblichkeit, die ihn am Vortag ausgezeichnet hatte, war im Augenblick nichts zu spüren.
Er nahm seinen Hut ab und warf ihn auf die Garderobenablage. Wade trug den gleichen Anzug wie gestern, nur die Krawatte hatte er gewechselt. An Knalligkeit konnte sie sich durchaus mit ihrer Vorgängerin messen.
»Was ist denn auf einmal los mit Ihnen, Wade?« fragte ich ihn und drückte die Tür hinter mir ins Schloß. »Gestern abend waren Sie viel umgänglicher!«
Er lachte kurz, aber seine Lustigkeit war ungefähr so wirkungsvoll wie ein Haarwuchsmittel für Glatzköpfige.
»Das haben Sie doch hoffentlich nicht ernst genommen?« fragte er und wischte sich mit dem Handrücken über den Mund.
»Ja und nein. Ich war in dem Hofgebäude. Wer hat die Vergrößerung hergestellt?«
Wade stellte sich dumm. »Was für eine Vergrößerung?«
»Ganz wie Sie wollen«, sagte ich kühl. »Wenn Ihnen soviel daran liegt, nehme ich Sie gleich mit. Es ist klar, daß wir im Polizeipräsidium einige Dinge zu Protokoll nehmen müssen, deren Präzisierung Ihnen unter Umständen nicht ganz leichtfallen wird — unter anderem die Frage, wovon Sie leben.«
»Was wollen Sie eigentlich von mir?« fragte er kurzatmig. Ich sah, daß er zu schwitzen begann.
»Man sollte tunlichst krumme Wege vermeiden«, sagte ich ihm. »Es zahlt sich besonders dann nicht aus, wenn sie zu Gewaltverbrechen führen. Aber kommen wir zur Sache. Was ich von Ihnen wissen will, ist schnell gesagt. Ich möchte, daß Sie mir einige Fragen beantworten — kurz und wahrheitsgetreu. Wer hat Sie auf mich angesetzt?« Er schluckte. Sein Gesicht glänzte, als hätte er es mit Fett eingerieben.
»Ich will Ihnen nichts vormachen. Gestern um sieben Uhr kreuzte ein Mann bei mir auf, der Sie genau beschreiben konnte, und der mich fragte, ob ich mir einen Hunderter verdienen wollte. Ich sagte, daß das ganz auf die Arbeit ankäme, die damit verbunden sei, und er meinte, es handle sich nur um
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