Jerry Cotton - 0577 - Staatsempfang fuer einen Moerder
stimmte das, auch wenn es sich nicht auf die augenfällig zur Schau gestellten Reize der jungen Dame bezog. Ich war froh, mich mit ihr einmal unterhalten zu können — obwohl zu bezweifeln war, daß sie mir es erlauben würde, den Tenor der Auseinandersetzung zu bestimmen.
»Soll ich bleiben, Miß?« fragte der Mann im Overall. Er war aufgestanden. Seine Haltung war devot und ängstlich zugleich.
»Sie können gehen, Jimmy«, meinte das Girl und setzte sich auf eine Ecke des Schreibtisches.
Der Mann schlich wie ein geprügelter Hund hinaus. Das zusammengerollte Comics-Heft trug er unterm Arm. Ich blickte das Girl an. Es sah so frisch, appetitlich und reizvoll aus wie eh und je. Diesmal trug es einen Hosenanzug aus einem grobgestrickten malvenfarbenen Material. Die Jacke war in Mao-Manier hochgeschlossen und unterstrich die kurvenbetonte Weiblichkeit meiner Gesprächspartnerin.
»Wo haben Sie denn Ihren Freund gelassen?« fragte ich sie.
Das Girl steckte sich eine Zigarette an. »Welchen Freund?«
»Fred Wyler«, sagte ich. »Sie arbeiten doch mit ihm zusammen, nicht wahr?«
Das Girl lachte spöttisch. »Ach du meine Güte!« meinte sie. »Das fehlte gerade noch. Sehe ich so aus, als ob ich mich mit Hohlköpfen einließe?«
»Warum haben Sie ihn herbestellt?« fragte ich.
Das Mädchen legte den Kopf in den Nacken und stieß einige kunstvoll geformte Rauchringe aus. Ich hatte dabei Gelegenheit, die edle Linie ihres Halses zu bewundern.
»Er fing an lästig zu werden«, sagte sie verträumt.
»Woher kennt er Sie?«
»Er kennt mich nicht«, behauptete das Girl.
Ich legte die Stirn in Falten. Mein Schädel schmerzte noch immer. Ich hatte Mühe, Ordnung in meine Gedanken zu bringen. Es sah so aus, als würden sich meine bisherigen Spekulationen in Rauch auflösen. Es mußte mir gelingen, das Puzzlespiel neu zusammenzusetzen.
»Wo ist das Testament, und was enthielt es?« fragte ich.
Die Frage war nicht so töricht, wie es erscheinen mag. Natürlich war es nicht zu erwarten, daß das Girl mich aufklären würde — aber falls es mir gegenüber doch offen sein sollte, war klar, was das bedeutete. In einem solchen Fall nämlich stand fest, daß ich die Abschußliste anführte und keine Gelegenheit mehr finden würde, das Gehörte auszuplaudern.
»Ich habe ein bißchen Zeit«, meinte das Girl lächelnd und klaubte sich ein Tabakkrümel von der Unterlippe. »Ich möchte sie dazu benutzen, mir ein Bild über die Intelligenz und die Tüchtigkeit eines G-man zu machen. Sie werden von mir erfahren, was Sie von mir wissen wollen — aber zunächst möchte ich von Ihnen hören, welche Spuren Sie verfolgen, und zu welchem Zwischenergebnis Sie gekommen sind. Spielen wir also mit offenen Karten. Einverstanden?«
Ich grinste unlustig. »Sie machen mir Spaß«, sagte ich. »Angesichts meiner Lage klingt es wie ein Witz, von einem Spiel mit offenen Karten zu sprechen. Haben Sie schon mal jemanden mit gefesselten Händfen beim Kartenspiel beobachtet? Sie wollen wissen, weicht Positionen das FBI inzwischen erreicht hat, das ist alles. Selbst wenn Sie mir die Wahrheit über Ihre Verbrechen sagen würden, könnte ich mit diesen Informationen nicht hausieren gehen. Sie haben mich fest in der Hand.«
»Kommen wir zur Sache«, meinte das Girl. »Warum sind Sie Wyler nach Leonia gefolgt?«
»Ich halte ihn — unter anderem — für den Mörder seines Bruders«, sagte ich.
»Bravo«, meinte das Girl. »Sie haben recht. Fred hat Arnold umgebracht. Wie sind Sie darauf gekommen?«
»Ich habe lange über das ,M‘ nachgedacht, mit dem Arnold seinen letzten Verdacht äußern wollte. Heute weiß ich, daß Arnold ,Mein Bruder…‘ sagen wollte.«
»Gut, aber wie kamen Sie darauf?«
»Arnold hatte mich zu sich bestellt. Er war zutiefst beunruhigt über eine telefonische Bedrohung. Ich weiß jetzt, daß Fred der Anrufer war — und Arnold wußte es auch. Zumindest ahnte er es. Fred hatte seine Stimme verstellt, aber Arnold muß doch gemerkt haben, wer sich dahinter verbarg.«
»Aber warum hätte Fred diesen unsinnigen Anruf vornehmen sollen?« fragte das Girl. »Dieses unnütze Schnörkel setzte ihn bloß der Gefahr aus, entdeckt zu werden.«
»Fred hielt es für ausgeschlossen, von Arnold am Telefon erkannt zu werden. Fred hoffte, daß Arnold sich an uns wenden würde. Er und wir sollten glauben, daß Arnold von einer Gangsterbande bedroht wurde.«
»Diese Rechnung ist also nicht aufgegangen«, sagte das Girl.
»Rechnungen
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