Jerry Cotton - 0581 - Ich und der Krallenmoerder
Möglicherweise hielt man sie für die Fehlzündungen eines Wagens.
Alles blieb ruhig — den üblichen Verkehrslärm ausgenommen. Ich beugte mich über den jungen Mann. Er war mit dem Gesicht nach vorn gefallen. Behutsam drehte ich ihn auf den Rücken. Seine leeren Augen starrten mich an, aber sie sahen mich nicht mehr.
Es waren die Augen eines Toten.
***
Die Kugel hatte sein Herz getroffen. Sie war von hinten in seinen Körper eingedrungen. Er war auf der Stelle tot gewesen.
Die Größe der Einschußwunde machte klar, daß der Mörder ein Gewehr benutzt hatte.
Ich schaute mich um und sah die parkenden Autos. Ich sah die Fahrzeuge, die sich in endloser Kette die Straße hinabschoben, ich sah die bunte Wäsche auf den Baikonen flattern, und ich sah die tausend müden Fensteraugen der alten, schmutzigen Häuser, die diese Straße flankierten. Ich sah die spielenden Kinder, und ich sah die Frauen, die träge oder klatschend aus den geöffneten Fenstern lehnten, ich sah dieses ganze bunte Vorstadtmosaik, aber ich sah nicht den Mörder.
Vielleicht hatte er aus einem vorüberfahrenden Wagen geschossen. Vielleicht befand er sich noch auf dem Parkplatz. Vielleicht stand er jetzt hinter einem der offenen Fenster und nahm das Gewehr langsam auseinander.
Ich setzte mich in den Jaguar und rief die Zentrale. Ich ließ mich mit Phil verbinden und teilte ihm mit, was geschehen war.
»Ich schicke dir Spencer«, sagte er.
Ich stieg aus. Eine ältere, mit falschen Perlenschnüren behängte Frau kam vorbei und stoppte jäh, als sie den jungen Mann am Boden liegen sah.
»Ist er betrunken?« fragte sie.
»Nein«, sagte ich. »Tot.«
Sie fiel beinahe um. Sie vermied es, den Toten anzublicken, und torkelte benommen davon.
Ich lehnte mich gegen den Jaguar und störte mich nicht daran, daß der Lack glühend heiß war. Der junge Mann hatte mich fraglos belogen. Er hatte gewußt, wer sein Auftraggeber war, und dieser Unbekannte hatte das Geschehen aus sicherer Entfernung verfolgt. Als ihm klargeworden war, daß der junge Mann zur Polizei gebracht werden sollte, hatte der Auftraggeber den Boten erschossen, um von ihm nicht verpfiffen zu werden.
So sah es jedenfalls aus. Leider machte diese Überlegung das Geschehen nicht verständlicher. Was verbarg sich hinter dem Karton mit den fünfhundert Dollar?
Ich beugte mich über den Toten und klopfte seine Taschen ab. Außer den zwei Zehndollarnoten und einem Schlüsselbund hatte er nichts bei sich.
In meinem Magen war ein flaues Gefühl. Es lag nicht allein am Anblick des Toten, es lag daran, daß dieser Tod so sinnlos erschien. Ein Fünfundzwanzigjähriger hatte sterben müssen, weil er den falschen Weg gewählt hatte.
Das Wagentelefon summte. Ich setzte mich in den Jaguar und meldete mich. Mr. High war am Apparat.
»Phil hat mir soeben berichtet, was passiert ist«, sagte er. »Konnten Sie den Toten bereits identifizieren?«
»Nein. Er hat keine Papiere bei sich. Er nannte sich Bill Brown, aber dieser Name ist sicherlich frei erfunden.«
»Halten Sie Larry Coster für den Krallenmörder?«
»Nein«, sagte ich.
»Ich auch nicht«, meinte Mr. High. »Die fünfhundert Dollar könnten von dem wahren Krallenmörder stammen. Vielleicht dienten sie dem Zweck, Coster zu belasten.«
»Fest steht, daß der junge Mann sterben mußte, weil er den Auftraggeber kannte«, sagte ich. »Ich hoffe, daß uns die Identifizierung des Toten ein paar Anhaltspunkte geben wird.«
»Sie werden die Freunde und Bekannten des Toten interviewen müssen. Es ist besser, Phil beteiligt sich an der Arbeit.«
»Danke, Sir«, sagte ich und legte auf. Dann kam die Polizei und die Mordkommission. Es gab die übliche Routinearbeit, es gab das Gedränge der Neugierigen und das Gedränge der Reporter, die um die besten Plätze für ein paar Fotos rangelten.
Ich war froh, als ich in den Jaguar steigen und losfahren konnte. Vielleicht hatte Mr. High recht. Vielleicht hatte der junge Mann sterben müssen, weil er imstande gewesen wäre, uns auf die Spur des Krallenmörders zu bringen.
Ich war überzeugt davon, daß man den Toten rasch identifizieren würde. Inzwischen konnte ich mit Fay Merlin sprechen. Ich fuhr zum Krankenhaus.
Die Schönheit der verletzten jungen Frau holte mich fast von den Beinen. Ihr Kopfverband ließ nur das Gesicht frei, aber die Vollkommenheit dieser Züge kam auch ohne krönenden Haarschmuck aus. Fay Merlin lächelte mich an. Sie machte nicht den Eindruck, als ob sie Schmerzen hätte
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