Jerry Cotton - 0592 - Ein Bettler macht kein Testament
Rücken. Die Dunkelheit in der Kajüte konnte unsere Rettung sein.
Es war nicht Garrick, sondern Slim. Er hatte wohl den Auftrag bekommen, uns an Deck zu befördern. Seine mächtige Gestalt füllte die ganze Tür aus.
Er wandte sich zunächst Phil zu, und das war gut. Als er sich Über ihn beugte, um ihn in die Höhe zu ziehen, schnellte ich hoch und hieb ihm meine Faust ins Genick. Augenblicklich ließ er Phil los und begrub ihn unter seinem Körper. Mein Freund schnappte nach Luft wie ein Fisch auf dem Trockenen.
Ich zerrte Slim zur Seite und durchsuchte, in Windeseile seine Taschen. Ein Schiffer hat gewöhnlich immer irgendwo ein Messer versteckt. Bei Slim brauchte ich nicht lange zu suchen. Sein Klappmesser steckte in der Gesäßtasche seiner Leinenhose.
Dann befreite ich Phil. Er massierte sich rasch die Gelenke und erhob sich.
»Und nun, Jerry? Wer von uns nimmt sich Garrick vor?«
»Wir beide, das ist sicherer. Unser Riesenbaby hier hat vorläufig an seiner Narkose zu knacken.« Alles mußte völlig lautlos vonstatten gehen. Jeglicher Lärm hätte Garrick alarmiert. Ich wollte mich nicht noch einmal diesem Sadisten aussetzen.
In Sekundenschnelle hatte ich einen Plan entworfen. »Draußen ist es stockfinster. Garrick bedient vermutlich das Ruder. Ich werde dich also über die Schulter werfen und raustragen. Er wird glauben, ich wäre Slim. Wir müssen nur möglichst dicht an ihn rankommen, alles andere ist eine Kleinigkeit.«
»Also, worauf warten wir noch? Wenn es zu lange dauert, wird er mißtrauisch.«
Ich setzte mir Slims Schiffermütze auf und steckte für alle Fälle sein Messer ein. Dann schulterte ich Phil, der so tat, als wäre er noch gefesselt, und begab mich an Deck. Es war nicht ganz einfach, mit der Last auf meinen Schultern die Treppe hochzukommen, aber ich schaffte es.
Wie ich vermutet hatte, war es oben nicht viel heller als in der Kajüte. Nur wenige Sterne standen am Himmel. Das Ruder befand sich achtern. Ich erkannte Garricks Gestalt.
»Wo bleibst du denn, Slim?« rief er.
»Komme schon«, brummte ich zurück. Hoffentlich hatte er noch keinen Verdacht geschöpft. Das Deck schwankte, während ich auf ihn zuschritt. Noch fünf Schritt, vier, drei, zwei…
»Halt — stehenbleiben!« Ich sah, wie Garricks Hand unter die Achsel zuckte. Er mußte mich erkannt haben, trotz der Mütze.
Ich ließ mich vornüber kippen und sorgte dafür, daß Phils Körper ihn gehörig aus dem Gleichgewicht brachte.
Wir gingen alle gleichzeitig zu Boden. Garrick stieß einen unterdrückten Fluch aus, als es ihn von den Beinen riß. Phil rollte über ihn hinweg und versuchte sofort wieder aufzustehen. Das war auf dem schwankenden Deck gar nicht ganz einfach. Ich merkte es, als ich mich aufrichtete.
Nach zwei Versuchen stand ich wieder auf den Beinen. Ich war auf irgendeine Finte unseres Gegners gefaßt, aber es geschah nicht das geringste. Garrick blieb reglos liegen, alle viere von sich gestreckt.
»Er ist bewußtlos«, sagte Phil, nachdem er ihn kurz untersucht hatte. »Sein Schädel hat die harten Deckplanken nicht verdaut.«
Unser Boot schaukelte beängstigend auf den Wellen. Es wurde Zeit, daß sich jemand um das Ruder kümmerte. Ich hatte keine Ahnung, wo wir uns befanden; ich wußte noch nicht einmal, welches Gewässer wir hier durchkreuzten. Mit unangenehmen Überraschungen war jederzeit zu rechnen.
Wie wahr diese Vermutung war, stellte sich schnell heraus. Phil wuchtete soeben den schlaffen Körper Garricks in die Höhe, als die Dunkelheit ringsum plötzlich einer blendenden Helligkeit wich.
Wir standen wie erstarrt. Nur wenige Sekunden dauerte es, bis mindestens drei Feuerwaffen ihr tödliches Blei auszuspucken begannen.
***
Das Boot hatte offenbar an dieser Stelle auf uns gewartet. Garrick war nicht ziellos mit uns herumgefahren, sondern hatte einen Treffpunkt angesteuert. Wäre dies nicht der Fall gewesen, hätte er uns schon längst über Bord gehen lassen können.
Die erste Salve strich über uns hinweg. Es war unser Glück, daß das Boot gerade besonders stark auf den Wellen tanzte. Das erschwerte den Gangstern, die selber auf schwankendem Boden standen, das Zielen.
Als die zweite Salve aufblitzte, waren wir bereits in Deckung. Die Kajüte bot genügend Schutz — wenigstens vorläufig. Aber da wir bis auf Slims Messer unbewaffnet waren, war unsere Lage mindestens ebenso aussichtslos wie vorher, als wir noch in der Gewalt Garricks gewesen waren.
Die Geschosse pfiffen nur so
Weitere Kostenlose Bücher