Jerry Cotton - 0598 - Der Bakterien-Moerder
geprellt hatte und nun Reißaus nahm. Meine hemd- und kragenlose Aufmachung kam dieser falschen Vorstellung durchaus entgegen.
Ich raste die Straße hinab bis zu dem Haus, aus dem die Schüsse gefallen waren. Ich entdeckte, daß es sich um einen Autosilo handelte, um eine mehrstöckige Stahlkonstruktion, die mit Münzautomaten und im Liftverfahren arbeitete.
Ich hatte nur zwei Minuten gebraucht, um den Parksilo zu erreichen, aber es war klar, daß dem Schützen die gleiche Zeit genügt hatte, um seine Flucht zu bewerkstelligen.
Keiner der Lifts war in Betrieb. Ich hatte keinen Wagen gesehen, der den Silo in diesen ein oder zwei Minuten verlassen hatte.
Das Mündungsfeuer war in Höhe der ersten Etage aufgeblitzt. Wenn man nicht den Autoaufzug benutzte, konnte man die einzelnen Etagen über eine Stahltreppe oder den Personenlift erreichen.
Die elektrische Anzeige des Personenlifts wies auf die 5. Etage. Das konnte entweder bedeuten, daß der Schütze nach oben gefahren war, um einen eventuellen Verfolger zu bluffen, oder daß er es vorgezogen hatte, über die Treppe nach unten zu entkommen.
Er hatte möglicherweise ein zusammenlegbares Gewehr benutzt und die Waffe entweder fortgeworfen oder in einem Spezialbehälter abtransportiert, der nicht gleich Verdacht erweckte.
Es war nicht ganz einfach, in dieser Situation den richtigen Entschluß zu fassen. Der Silo bot tausend Versteckmöglichkeiten. Der Schütze konnte sich hinter einem parkenden Wagen abgeduckt oder in einem Kofferraum verkrochen haben.
Nur ein Großalarm und der Einsatz von einigen Dutzend Polizisten bot eine Chance, den Mann zu finden. Nach kurzem Nachdenken entschloß ich mich jedoch, auf eine Suchaktion großen Stils zu verzichten. Das Risiko, dabei zu keinem Erfolg zu kommen, war einfach zu groß.
Ich kletterte die Stahltreppe zur ersten Rampe hinauf und schlängelte mich zwischen zwei Wagen durch, um an das über meterhohe Geländer zu treten. Von hier hatte ich einen bequemen Ausblick über die Straße. Ich sah das Menschenknäuel, das sich vor dem Treppenaufgang zu Raoul Afirs Lokal gebildet hatte. Es war kein Problem gewesen, von dieser Stelle aus zu schießen, wenn man ein gutes Gewehr mit Zielfernrohr hatte.
Ich schaute mich auf dem Boden um, denn möglicherweise hatte der Schütze seine Waffe oder irgendwelche Spuren hinter lassen.
»Suchen Sie etwas Bestimmtes?« fragte jemand hinter mir.
Ich merkte, wie ich beim Klang dieser Stimme förmlich vereiste. Dabei war es eine ausgesprochen warme, sehr klangvolle Stimme. Es war die Stimme des Mannes, der New York töten wollte.
***
Langsam wandte ich mich um.
Afirs Revolver steckte in meinem Hosenbund, griffbereit. Das Jackett verdeckte ihn. Ich verzichtete darauf, sofort von der Waffe Gebrauch zu machen.
Schließlich gab es viele Männer mit dunklen, sonoren Stimmen. Ich konnte es nicht riskieren, in einem Abwehrreflex auf einen Unschuldigen zu schießen. Aber als ich sah, wer mir gegenüberstand, wußte ich, daß meine Skrupel sinnlos gewesen waren.
Mein Gegner stand drei Schritte von mir entfernt. Unter dem rechten Arm hielt er ein Gewehr mit abgesägtem Lauf. Da er damit schwerlich auf Afir oder die Detektive geschossen haben konnte, stand fest, daß er mit einem kleinen Waffenarsenal nach hier gekommen war.
Der abgesägte Lauf hatte eine große häßliche Öffnung. Bei ihrem Anblick überkam mich ein Frösteln. Ich wußte, welche Löcher Waffen dieser Machart reißen können. Es waren Löcher, die nicht einmal die besten Ärzteteams der Welt zu flicken vermochten.
»He, was soll denn das heißen?« fragte ich ihn und mimte dabei Erstaunen.
Der Mann mit dem schütteren Haar trug einen dünnen schwarzen Regenmantel mit hochgestelltem Kragen. Über dem dunklen Bekleidungsstück wirkte sein Gesicht doppelt blaß und transparent. Es hatte den Anschein, als trüge er unter dem Mantel Stiefel, aber das konnte ich nicht genau erkennen, da seine Füße in der Schattenzone der parkenden Fahrzeuge lagen. Der Widerschein der vielen bunten Neonreklamen gab seinem Gesicht einen teuflischen Zug.
»Geben Sie sich keine Mühe!« sagte er kalt. »Ich weiß, wer Sie sind, G-man. Und Sie wissen verdammt genau, wer Ihnen gegenübersteht. Heben Sie die Hände, los!«
Ich gehorchte und trat gleichzeitig einen weiteren Schritt zurück, so daß ich mit dem Rücken das Geländer berührte. Unten auf der Straße war viel Betrieb. Ich baute darauf, daß irgendeiner der Passanten einmal an dem Silo
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