Jerry Cotton - 2920 - Die Reichen und die Leichen
neue Erwerbung nahm den Notsitz in Beschlag und ließ kaum genug Sichtfeld im Rückfenster frei. Das Bild würde sich bestimmt prächtig in Phils Apartment machen, wie ich genüsslich anmerkte.
»Nein, das ist nicht für meine Wohnung. Das hänge ich im Büro auf«, widersprach er.
Darüber würde noch zu reden sein, aber vorher wollte ich zwei Gangstern einen Besuch abstatten.
***
Der erste Anlaufpunkt für June und Blair war die Familie, in der Sandrine Lescout als Au-pair gelebt hatte. Die beiden Wirtschaftsanwälte konnten nicht fassen, was sie über die Freunde von Sandrine zu hören bekamen.
»Sie hat sich mit Gangstern getroffen?«, fragte Edward Gunther.
»Ja, das wissen wir mit Sicherheit. Wir können nicht ausschließen, dass wir in diesem Zusammenhang das Motiv für den Mord finden«, bestätigte June.
Sie und Blair hatten sich das gemütlich eingerichtete Zimmer des Au-pair noch einmal gründlich angesehen, ohne jedoch auf einen neuen Hinweis zu stoßen. Den Laptop von Sandrine untersuchten Kriminaltechniker, doch die ersten Aussagen dazu blieben negativ. Es gab keine verdächtigen Dateien oder Nachrichten im elektronischen Postfach von Sandrine Lescout.
»Hat sie öfter Besuch gehabt?«, fragte Blair.
Das Ehepaar konnte nur den Namen Vernon Hobbs beisteuern.
»Er leitet die Agentur, über die wir Sandrine vermittelt bekommen haben«, sagte Gunther.
Blair und June hatten die Agentur als nächstes Ziel geplant. Nach dem Besuch bei Sandrines Gasteltern bot es sich geradezu an.
»Ich habe die Agentur und Vernon Hobbs überprüft. Wir haben es offenbar mit einem seriösen Unternehmen zu tun. Hobbs hat keine Einträge im System und betreibt die Vermittlung von Au-pairs schon seit drei Jahren ausgesprochen erfolgreich«, sagte June.
Während sie die Informationen weitergab, lenkte ihr Partner bereits den roten Dodge Nitro in die Tiefgarage des Bürohochhauses, in dem die Agentur ihre Räume hatte.
»Vermutlich bleibt uns am Ende des Tages nur noch das Vanity als Ort, an dem eine junge Frau mit den falschen Menschen in Kontakt geraten kann«, sagte Blair.
Sie meldeten sich am Empfang der Agentur an und wurden gebeten, einige Minuten zu warten. June und Blair setzten sich in eine schlicht ausgestattete Warteecke und beobachteten das Kommen und Gehen. Innerhalb der rund fünfzehn Minuten Wartezeit meldeten sich drei junge Frauen, die mit einem Betreuer einen Termin vereinbart hatten. Aus den Telefonaten schloss June, dass es zwischen der Agentur und den Gastfamilien einen ständigen Kontakt gab.
»Wie wirkt es hier auf dich?«, fragte sie.
»Alles sehr geschäftsmäßig und gut organisiert«, lautete die Antwort.
Als sich ein mittelgroßer Mann näherte, hatten June und Blair immer noch keine Auffälligkeiten bemerkt.
»Vernon Hobbs. Entschuldigen Sie die Verzögerung, aber ich hatte Mister Lescout am Apparat und wollte das Gespräch nicht so abrupt beenden«, sagte Hobbs.
»Special Agent June Clark, und das ist mein Partner, Special Agent Blair Duvall«, erwiderte June.
Der Agenturinhaber führte sie in ein Büro mittlerer Größe, in dem eine Übersichtstafel an der einen Wand dominierte. Überrascht blieb June davor stehen und betrachtete die vielen Namen, die sich darauf befanden.
»Eine kleine Marotte von mir, Agent Clark. Das sind alles ehemalige Au-pairs, die meine Agentur erfolgreich hier in New York vermittelt hat«, erklärte Hobbs.
In seiner Stimme schwang unüberhörbar Stolz mit.
Vernon Hobbs bot ihnen die Besucherstühle an, während er sich auf seinen Schreibtischstuhl setzte. Der hagere Mann beugte sich vor und legte die Hände übereinandergefaltet auf die Tischplatte. Er senkte für einen Moment den Kopf, sodass June die kahle Stelle am Hinterkopf sehen konnte. Zusätzlich zeugten diverse graue Strähnen davon, dass Hobbs kein junger Mann mehr war.
»Bisher hatten wir noch nie einen Mordfall zu beklagen, Agent Clark. Unfälle gibt es leider immer wieder einmal oder dass eine der jungen Frauen krank wird. Aber Mord?«, sagte er.
Das Gespräch verlief offen und vermittelte June und Blair den Eindruck, in Vernon Hobbs einen seriösen Geschäftsmann vor sich zu haben.
»Wir müssen alle Unterlagen von Justine Lescout einsehen, Mister Hobbs«, sagte June.
Er zögerte nur einen winzigen Augenblick, doch dann nickte er und verließ den Raum.
»Damit hat wohl jeder Unternehmer so seine Probleme«, sagte Blair.
June schmunzelte ebenfalls und nahm wenige Augenblicke später
Weitere Kostenlose Bücher