Jerry Cotton - 2920 - Die Reichen und die Leichen
eine dünne Handakte entgegen. Sie öffnete sie und überflog die Daten. An einer Stelle blieb ihr Blick hängen.
»Hat es Sie nicht gestört, dass Sandrine Lescout in ihrer Heimatstadt bereits mit dem Gesetz in Konflikt geraten war?«, fragte sie.
Blair warf seiner Partnerin einen überraschten Blick zu, die ihm daraufhin die Mappe mit den persönlichen Daten Lescouts übergab.
»Nein. Diese Probleme sind in der Pubertät durchaus gängig und Sandrine war nicht das einzige Au-pair, welches damit belastet war«, antwortete Hobbs.
»Nicht? Was sagen denn die Gasteltern dazu?«, fragte Blair.
Vernon Hobbs lehnte sich zurück und schaute einen Augenblick hinüber zur Tafel mit den vielen Namen. Dann räusperte er sich und sah dem hochgewachsenen Blair ins Gesicht.
»Sie wissen es in der Regel nicht, Agent Duvall. Falls man uns direkt nach solchen Dingen fragt, antworten wir ehrlich und offen. Auf der anderen Seite benötigen jedoch junge Menschen wie Sandrine Lescout eine Chance, die ich ihnen gerne einräume«, erwiderte Hobbs.
Das war eine noble Haltung, und angesichts des guten Rufs der Agentur schien sein Konzept bislang hervorragend aufgegangen zu sein. Bei Sandrine Lescout endete diese Erfolgsgeschichte.
»Sandrine hatte in Marseille mehrfach mit Drogenproblemen zu kämpfen. Unsere Ermittlungen haben ergeben, dass es auch in ihrem Freundeskreis hier in New York zu Drogenkonsum gekommen ist. Sie werden sich denken können, dass sich daraus bestimmte Fragen ergeben«, sagte June.
Vernon Hobbs seufzte schwer und nickte zustimmend.
»Sie können mir glauben, Agent Clark, darüber habe ich mir schon den Kopf zerbrochen. Gibt es denn einen Zusammenhang zwischen den Freunden, den Drogen und dem Mord?«, fragte er.
»Wir verfolgen diese Spur und können es bislang nicht ausschließen. Stand Sandrine mit anderen Au-pairs der Agentur in freundschaftlicher Verbindung?«, antwortete June.
Es gab eine Französin, mit der sich Sandrine ein wenig angefreundet hatte. Vernon Hobbs händigte June die Kontaktdaten aus und äußerte zum Schluss noch eine Bitte.
»Informieren Sie mich bitte, wenn Sie wissen, warum Sandrine sterben musste. Falls es mit ihrer Vergangenheit zu tun hat, muss ich mir ernsthaft Gedanken zum Konzept meiner Auswahl machen«, bat Hobbs.
June und Blair verließen die Agentur und unterhielten sich bereits auf der Fahrt im Lift über das Gespräch. Als sie durch das Foyer zur Ausgangstür gingen, betraten zwei Männer das Gebäude. Für einen flüchtigen Augenblick streifte Blairs Blick über ihre Gesichter, bevor er sich wieder seiner Partnerin zuwandte.
***
Es war keine sonderlich komplizierte Aufgabe für meinen Partner, mehr Informationen über Tonio Sanchez und Ralph Timber zu beschaffen.
»Sie haben schon früher zusammengearbeitet. Sanchez hat einen Collegeabschluss und ist das Hirn im Team. Timber verfügt über viel Erfahrung im Umgang mit automatischen Waffen sowie Sprengstoff«, erklärte Phil.
»Automatische Waffen? Bei der Schießerei am Revier wurden nur Pistolen eingesetzt«, erwiderte ich.
Phil zuckte mit den Schultern.
»Vielleicht kam der Auftrag zu kurzfristig, um sich mit Maschinenpistolen oder Sturmgewehren auszustatten«, sagte er.
Wir klapperten drei Bars und zwei Diners ab, in denen sich die Gangster nach unseren Informationen regelmäßig aufhielten.
»Das läuft nicht gerade gut für uns, oder?«, fragte Phil.
Wir verließen die Bar in South Manhattan, die vorerst unsere letzte Station gewesen war. Wir hatten weder Sanchez noch Timber aufgespürt und waren entsprechend enttäuscht.
»Hallo?«
Ein korpulenter Mann mit eindeutig mittel- oder südamerikanischer Herkunft lehnte an meinem Jaguar. Trotz meiner auffordernden Handbewegung blieb er, wo er war. Er schenkte uns ein breites Lächeln und ließ zwei Reihen weißer Zähne aufblitzen.
»Wie viel ist euch ein echt guter Tipp wert?«, fragte er.
»Geschenkt. Wir sind keine Anfänger, denen man das Blaue vom Himmel erzählen kann«, lehnte ich ab.
Jetzt stieß der Mann sich endlich vom Wagen ab und ging an mir vorbei in Richtung der Bar. Als er auf gleicher Höhe mit mir war, ließ er eine Bemerkung vom Stapel.
»Ich weiß, wo sich Tonio und sein neuer Kumpel gerade aufhalten.«
Meine Hand schnellte vor und packte den Sprecher am Oberarm.
»Wenn das ein Trick sein soll, um eine Handvoll Dollar abgreifen zu können, werden Sie es bereuen«, warnte ich ihn.
Mit einer lässigen Bewegung löste er meine Finger
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