Jerry Cotton - 2924 - Ein eiskalter Deal
zu kommen. Vielleicht hatte ihn auch die Erkenntnis, dass es für ihn keine Belohnung geben würde, ernüchtert.
»Rufen Sie mich an, sobald Sie mehr wissen«, bat ich ihn und steckte ihm meine Karte zu.
***
Gu Yi-Mes Adresse hatten wir in Doris Finzackers Unterlagen gefunden. Falls es sich um dieselbe Frau handelte, die zurzeit die Begleiterin des schwerreichen Waffenschiebers war, kam sie offenbar problemlos in unterschiedlichen Welten zurecht. Die Wohnung der angehenden Schauspielerin lag in Chinatown, in der Baxter Street, und damit nicht gerade in der Welt des großen Geldes, wie sie der zwielichtige Chinese verkörperte.
Wir ließen den Jaguar in einem Parkhaus am Columbus Park stehen und gingen ein Stück zu Fuß. Pagodendächer und buddhistische Tempel, Imbissstuben, Restaurants und kleine Läden prägten das Bild der Straßen, durch die wir gingen. Die gesuchte Adresse befand sich über einer Wäscherei, das laute Geschrei einer Frau drang durch die Ladentür bis auf die Straße hinaus.
»Hinten herum, der Eingang ist auf der anderen Seite.« Phil war bereits in der Seitenstraße verschwunden, ich folgte ihm und wir standen gleich darauf vor einem Aufgang aus Metalltreppen und Holzfassaden, die auf jeder Etage eine Galerie bildeten.
Die Wohnung von Gu Yi-Me lag im zweiten Stock. Wir klopften und zunächst rührte sich nichts. Erst beim zweiten Versuch hörten wir Schritte hinter der Tür. Eine weibliche Stimme gab etwas auf Chinesisch von sich, dem Tonfall nach handelte es sich um eine Unmutsäußerung.
»FBI, Special Agent Cotton und Special Agent Decker. Bitte öffnen Sie die Tür, wir haben einige Fragen.«
Einige Sekunden lang herrschte Stille, dann wurde ein Schlüssel in einem Schloss gedreht und jemand öffnete die Tür ein kleines Stück weit.
»Sind Sie Gu Yi-Me?«, fragte ich die junge Frau, die hinter einer Sicherheitskette hervor sichtlich erschrocken zu uns heraussah. Gut sichtbar hielt ich meine Dienstmarke hoch. Sie musterte mich, Phil, dann erst den Ausweis.
»Sie ist nicht da«, antwortete sie mit heller, weicher Stimme. »Ich bin ihre Mitbewohnerin. Ich heiße Mai-Lin.«
»Mai-Lin und wie weiter?«, fragte Phil.
»Fong. In dieser Reihenfolge.«
Sie gab ihren Namen also nicht in der chinesischen, sondern in der bei uns üblichen Reihenfolge an. Über die Treppe kamen jetzt zwei weitere Hausbewohner nach oben, eine ältere, korpulente Frau und ein sehr schlanker Mann. Mai-Lin Fong blickte zu den beiden hinüber und sah uns unsicher an, bevor sie uns hereinbat.
»Wann erwarten Sie Ihre Mitbewohnerin zurück?«, wollte ich von Miss Fong wissen.
Sie war barfuß, trug blaue Leggins und ein übergroßes, graues T-Shirt. Die junge Frau war hübsch, sehr zierlich und hätte mit ihrem makellosen Aussehen ebenfalls gut in die Glamourwelt der Schauspielerinnen oder Models gepasst. Einen Moment lang fragte ich mich, ob wir nicht der Gesuchten bereits gegenüberstanden, ob sie uns etwas vorspielte, aus welchem Grund auch immer. Doch dann fiel mein Blick auf ein Foto, das in der winzigen Diele am Spiegel befestigt war. Zwei junge Frauen, die sich lachend unter einem Schirm umarmten.
»Ist das Gu Yi-Me neben Ihnen?«
Mai-Lin nickte. »Das Foto wurde erst vor ein paar Wochen aufgenommen.«
Yi-Me war größer als ihre Freundin, mit langem Haar und einem Blick, der fest auf ein Ziel gerichtet schien.
»Worum geht es denn eigentlich? Warum wollen Sie meine Mitbewohnerin sprechen?«
»Sie war bei einem Catering-Unternehmen beschäftigt. Wissen Sie etwas darüber?«
»Catering. Ja. Als Servicekraft.«
Abwartend sah sie mich an.
»Arbeiten Sie auch dort?« Phil war jetzt neben mich getreten. Zu dritt standen wir nun in der kleinen Diele eng beieinander. Der jungen Frau war anzusehen, dass ihr die Situation nicht behagte.
»Kommen Sie doch mit ins Wohnzimmer«, sagte sie gepresst. Wir folgten ihr in einen kleinen, spärlich möblierten und blitzsauber aufgeräumten Raum. Dort bot uns unsere Gastgeberin Platz an, bevor sie selbst sich auch auf einen der Sessel fallen ließ. Sie zog die Beine an und legte ihren Kopf auf die Knie.
»Ich studiere und jobbe nebenbei, aber nicht dort, wo Yi-Me ist. Ehrlich gesagt weiß ich auch nicht viel über dieses Unternehmen. Nur, dass sie offenbar sehr gut bezahlen, denn Yi-Me hat keine Geldsorgen mehr, seit sie dort ist.«
»Nun ja, das hängt vielleicht eher mit ihrem Freund zusammen.« Phils Schuss ins Blaue löste bei Mai-Lin heftiges Stirnrunzeln
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