Jerusalem: Die Biographie (German Edition)
dominierte der Felsendom Jerusalem und überragte die Grabeskirche – und genau das hatte Abd al-Malik beabsichtigt, vermuteten spätere Jerusalemer wie der Schriftsteller al-Muqqadasi. Es funktionierte: Von nun an mokierten sich die Muslime bis ins 21. Jahrhundert hinein über die Grabeskirche – arabisch: Kayamah – und nannten sie Kumamah , Misthaufen. Der Felsendom ergänzte und überwand die rivalisierenden, wenngleich verwandten Ansprüche der Juden und Christen und konfrontierte beide mit der überlegenen Neuerung des Islam. Den Bau ziert ein 240 Meter langes Inschriftenband. Es verwirft die Idee der Göttlichkeit Jesu mit einer Direktheit, die auf enge Beziehungen zwischen den beiden monotheistischen Religionen hindeutet: Sie hatten vieles gemeinsam, aber nicht die Dreifaltigkeit. Diese Inschriften sind insofern faszinierend, als sie erste Einblicke in den Text des Koran gewähren, den Abd al-Malik in seiner endgültigen Form zusammenstellen ließ.
Die Juden besaßen politisch geringere, theologisch aber größere Bedeutung. Dreihundert schwarze Sklaven, zwanzig Juden und zehn Christen kümmerten sich um den Felsendom. Die Juden konnten nicht umhin, den Bau voller Hoffnung zu beobachten: War das ihr neuer Tempel? Noch immer durften sie dort beten, und die Omaijaden schufen eine islamische Version der Tempelrituale mit Reinigung, Salbung und Rundgang um den Stein. [115]
Jenseits von alledem besitzt der Felsendom eine ganz eigene Macht: Er gehört zu den zeitlosen Meisterwerken der Baukunst; sein Glanz zieht von jedem Standort in Jerusalem sämtliche Blicke auf sich. Er glänzt wie ein mystischer Palast, der sich aus der luftigen, heiteren Weite der Tempelplattform erhebt, sie unmittelbar in eine riesige Freiluftmoschee verwandelt und die gesamte Umgebung heiligt. Der Tempelberg entwickelte sich – und ist immer noch – zu einem Ort der Erholung und Entspannung. Der Felsendom schuf tatsächlich ein irdisches Paradies, das die Ruhe und Sinnlichkeit dieser Welt mit der Heiligkeit des Jenseits verband, und eben darin lag seine Genialität. Bereits in den ersten Jahren seines Bestehens gab es kein größeres Vergnügen, als »im Schatten des Felsendoms eine Banane zu essen«, wie Ibn Asakir schrieb. Zusammen mit den Tempeln Salomos und Herodes’ gehört der Felsendom zu den gelungensten imperialen Sakralbauten, die je errichtet wurden, und ist im 21. Jahrhundert zum ultimativen Touristiksymbol geworden, zum Schrein des wiederauflebenden Islam und zum Totem palästinensischen Nationalismus: Bis heute prägt er Jerusalem.
Schon bald nach dem Bau des Felsendoms eroberte Abd al-Maliks Armee Mekka zurück und nahm den Dschihad wieder auf, um Gottes Königreich gegen die Byzantiner zu verbreiten. Er dehnte sein Riesenreich nach Westen über Nordafrika und nach Osten bis nach Sind (heute Pakistan) aus. Im Inneren seines Reiches musste er jedoch das Haus des Islam zu einer einzigen muslimischen Religion mit einem Schwerpunkt auf Mohammed vereinen, zum Ausdruck gebracht in der doppelten Schahada, die nun in vielen Inschriften auftauchte: »Es gibt keinen Gott außer Gott, und Mohammed ist der Gesandte Gottes.« Die Aussprüche des Propheten – hadith – wurden gesammelt, und Abd al-Maliks vollständige Koranausgabe entwickelte sich zur unerschütterlichen Quelle der Legitimität und Heiligkeit. Rituale wurden strenger geregelt und Götzenbilder verboten – Abd al-Malik prägte keine Münzen mehr mit seinem Bild. Er nannte sich von nun an Kalifat Allah, Stellvertreter Gottes; seitdem bezeichneten sich islamische Herrscher als Kalifen. Die offiziellen Versionen der ersten Mohammed-Biographie und die islamische Expansion schlossen Christen und Juden aus dem Islam aus. Die Verwaltung wurde arabisiert. Wie eine geballte Mischung aus Konstantin, König Josia und dem Apostel Paulus glaubte Abd al-Malik an ein Weltreich mit einem einzigen Monarchen und einem Gott, und mehr als jeder andere prägte er die Entwicklung der Gemeinde Mohammeds zum heutigen Islam.
Walid: Apokalypse und Luxus
Jerusalem besaß nun mit dem Felsendom ein Heiligtum, aber keine imperiale Moschee, und so bauten Abd al-Malik und sein Sohn und Nachfolger Walid als nächstes die Ferne Moschee, al-Aqsa, Jerusalems Moschee für das übliche Freitagsgebet am Südrand des Tempelbergs. Die Kalifen sahen ebenso wie Herodes den Tempelberg als Zentrum Jerusalems. Zum ersten Mal seit 70 n.Chr. bauten sie eine neue große Brücke über das Tal, damit Pilger
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