Jerusalem: Die Biographie (German Edition)
vergiftet. Jerusalems Christen hatte man vertrieben. Die allenfalls 30 000 Einwohner der Stadt konnten sich mit dem Gedanken trösten, dass der ägyptische Wesir sich auf dem Vormarsch nach Norden befand, um sie zu retten, und sie gut gerüstet waren: Sie besaßen sogar den geheimen Flammenwerfer, das griechische Feuer. [131] Hinter den stattlichen Mauern Jerusalems müssen sie ihre Angreifer verachtet haben.
Das fränkische Heer war mit 1200 Rittern und 12 000 Fußsoldaten zu klein, die Stadt einzukesseln. In der offenen Feldschlacht hatten die leicht gepanzerten arabischen und türkischen Reiter dem imposanten Sturm der fränkischen Ritter wenig entgegenzusetzen, die auf ihren massigen Streitrössern eine donnernde Stahlfaust ballten. Jeder Ritter trug Helm, Harnisch und Kettenhemd über einem gefütterten Wams und war mit Lanze, Schwert, Keule und Schild bewaffnet.
Aber die westeuropäischen Pferde waren längst eingegangen oder von den hungrigen Truppen verspeist worden. In den engen, sonnenversengten Tälern um Jerusalem waren Sturmangriffe unmöglich, Pferde nutzlos und Rüstungen zu heiß: Die erschöpften fränkischen Truppen mussten zu Fuß kämpfen, während ihre Heerführer sich ständig befehdeten. Einen Oberkommandierenden gab es nicht. Der Herausragendste und Reichste war Raimund, der Graf von Toulouse, ein tapferer, aber wenig mitreißender Anführer, der für seine Hartnäckigkeit und Taktlosigkeit berühmt war. Anfangs schlug er sein Lager gegenüber der Zitadelle auf, zog aber nach einigen Tagen nach Süden, um das Ziontor zu belagern.
Jerusalems Schwachstelle war immer der Norden: Der junge, fähige Robert, Graf von Flandern, Sohn eines Jerusalempilgers, kampierte vor dem heutigen Damaskustor; und der mutige, aber ineffektive Herzog der Normandie, Robert (der Sohn Wilhelms des Eroberers), der den Spitznamen Curthose (Kurzhose) oder schlicht Dickbein hatte, deckte das Herodestor ab. Die treibende Kraft war jedoch Gottfried von Bouillon, der 39-jährige, stramme, blonde Herzog von Niederlothringen, der »Inbegriff des untadeligen christlichen Ritters«, der für seine Frömmigkeit und Keuschheit bewundert wurde (er heiratete nie). Er bezog Stellung am heutigen Jaffator. Unterdessen zog der 25-jährige Normanne Tankred de Hauteville, der darauf brannte, ein eigenes Fürstentum zu erobern, weiter nach Bethlehem, um die Stadt einzunehmen. Als er zurückkam, schloss er sich Gottfrieds Heer nordwestlich von Jerusalem an.
Die Franken hatten unzählige Männer verloren und waren Tausende Kilometer durch Europa und Asien gezogen, um die Heilige Stadt zu erreichen. Allen war klar, dass dies entweder das Ende oder der krönende Abschluss des Ersten Kreuzzugs werden sollte.
Papst Urban II .: Gott will es
Der Kreuzzug ging auf die Idee eines Mannes zurück. Am 27. November 1095 hatte Papst Urban II. auf der Synode von Clermont die versammelten Adeligen und das einfache Volk aufgerufen, Jerusalem zu erobern und die Grabeskirche zu befreien.
Urban sah es als seine Lebensaufgabe an, Macht und Ansehen der katholischen Kirche wiederherzustellen. Um das Christentum und das Papsttum zu stärken, entwickelte er eine neue Theorie des heiligen Krieges, die eine reinigende Liquidierung der Ungläubigen rechtfertigte und als Lohn die Vergebung der Sünden in Aussicht stellte. Dieser beispiellose Ablass schuf eine christliche Version des muslimischen Dschihad und passte bestens zur populären Verehrung Jerusalems. In einem Zeitalter religiöser Inbrunst und heiliger Zeichen galt Jerusalem, die Stadt Christi, zugleich als höchstes Heiligtum und als himmlisches Königreich, das jedem Christen durch Predigten, Wallfahrtsschilderungen, Passionsspiele, Gemälde und Reliquien vertraut war. Aber Urban schürte auch leidenschaftlich die wachsende Sorge um die Sicherheit des Heiligen Grabes und führte Massaker an Pilgern und turkmenische Gräueltaten an.
Die Zeit war reif, dass Tausende einfacher Menschen und zahlreiche Adelige Urbans Aufruf folgten: Es »führte Gewaltthätigkeit die Herrschaft. Hinterlist, Trug und Heimtücke hatten weithin Alles in Besiz genommen«, stellte der Jerusalemer Historiker Wilhelm von Tyrus fest. »Sparsamkeit und Nüchternheit hatten keine Stätte, wo Verschwendung, Trunkenheit und übernächtiges Spiel vor dem Eingang Wache standen.« Der Kreuzzug bot die Chance, persönliche Abenteuer zu erleben, der Heimat zu entfliehen und Tausende aufsässiger Ritter und Freischärler loszuwerden. Die
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