Jerusalem: Die Biographie (German Edition)
ihn nicht zum Schweigen bringen wollte. Selbst als der Bretone bereits völlig verstümmelt war und nur noch Kopf und Rumpf (und Zunge) hatte, beteuerte er noch Fulks Unschuld.
Es ist also nicht verwunderlich, dass die offenkundigen politischen Fallstricke von Outremer in Europa berühmt-berüchtigt waren. Jerusalem zu regieren war eine Herausforderung: Die Könige waren die ersten unter Gleichen und mussten sich mit Kreuzfahrerfürsten, ehrgeizigen Magnaten, brutalen Abenteurern, ignoranten Neuankömmlingen aus Europa, unabhängigen Ritterorden und intriganten Klerikern herumschlagen, bevor sie sich ihren islamischen Feinden zuwenden konnten.
Die Ehe des Königspaares gestaltete sich nun äußerst kühl, allerdings hatte Melisende zwar ihre Liebe verloren, dafür aber ihre Macht wiedergewonnen. Um die Königin sich wieder gewogen zu stimmen, machte Fulk ihr ein besonderes Geschenk – den prachtvollen Psalter, der nach ihr benannt ist. [136] Während das lateinische Königreich seine Hochblüte erlebte, machte der Islam mobil.
Zengi der Blutige: der Falkenfürst
Zengi, der Atabeg von Mosul und Aleppo (im heutigen Irak und Syrien), griff zunächst die Kreuzfahrerstadt Antiochia und anschließend das muslimische Damaskus an: Der Fall einer dieser beiden Städte hätte für Jerusalem einen schweren Schlag bedeutet. Seit nahezu vierzig Jahren hatte der Verlust Jerusalems erstaunlich wenig Eindruck auf die gespaltene, mit sich beschäftigte islamische Welt gemacht. Wie so oft in Jerusalems Geschichte schürte politische Notwendigkeit den religiösen Eifer. Zengi machte sich nun eine wachsende religiöse und politische Wut über den Verlust Jerusalems zunutze und nannte sich »Heiliger Krieger, Bezwinger der Gottlosen, Zerstörer der Ketzer«.
Der Kalif belohnte den türkischen Atabeg mit dem Titel »König der Amire«, weil er den islamischen Stolz wiederherstellte. Bei den Arabern nannte er sich Säule des Glaubens, bei seinen türkischen Mitbrüdern der Falkenfürst. Dichter, der lebenswichtige Schmuck eines jeden Herrschers in dieser poesieliebenden Gesellschaft, strömten in Scharen an seinen Hof, um seinen Ruhm zu besingen, aber der wilde Zengi war ein harter Herr. Er ließ wichtige Feinde häuten und skalpieren, unbedeutende erhängen und jeden Soldaten kreuzigen, der Ackerfrüchte zertrampelte. Seine jugendlichen Liebhaber ließ er kastrieren, um ihre Schönheit zu bewahren. Wenn er seine Generäle verbannte, demonstrierte er ihnen seine Macht, indem er ihre Söhne kastrierte. Im Rausch verstieß er eine seiner Ehefrauen und ließ sie vor seinen Augen von seinen Pferdeknechten im Stall vergewaltigen. Sein Offizier Usama ibn Munqidh erinnerte sich, dass Zengi, wenn einer seiner Soldaten desertierte, die beiden Männer zweiteilen ließ, die an dessen Seite gekämpft hatten. Muslimische Quellen schildern seine Grausamkeiten. Was die Kreuzfahrer angeht, so nannten sie ihn Zengi den Sanguin, ein Beiname, der ihn in plakativer Doppeldeutigkeit als heißblütig und blutrünstig kennzeichnete.
Fulk zog umgehend gegen Zengi zu Felde, der die Jerusalemer jedoch besiegte und den König in einer nahen Festung einkesselte. Wilhelm, der Patriarch von Jerusalem, führte zu seiner Rettung die Armee an und ließ das Wahre Kreuz vorwegtragen. Als Zengi erfuhr, dass Hilfstruppen unterwegs waren, bot er Fulk an, ihm gegen die Überlassung der Festung die Freiheit zu schenken. Nachdem Fulk so nur knapp dem Tod entronnen war, versöhnten er und Melisende sich, aber Zengi, der mittlerweile über fünfzig war, übte weiter Druck aus und bedrohte nicht nur die Kreuzfahrerstädte Antiochia und Edessa, sondern griff erneut auch Damaskus an; der dortige Herrscher, Unur, war darüber so alarmiert, dass er sich mit den ungläubigen Jerusalemern verbündete. [100]
Unur, der Atabeg von Damaskus, machte sich 1140 auf den Weg nach Jerusalem und wurde dabei von seinem weltlichen Berater begleitet, einem syrischen Aristokraten und dem besten muslimischen Schriftsteller seines Jahrhunderts.
Usama ibn Munqidh: grosse Ereignisse und Katastrophen
Usama ibn Munqidh gehörte zu jenen allgegenwärtigen Persönlichkeiten, die alle wichtigen Leute einer bestimmten historischen Epoche oder Region kannten und immer mitten im Geschehen waren. Im Laufe seiner langen Karriere gelang es diesem wandelbaren Höfling, Krieger und Schriftsteller, allen großen islamischen Führern seines Jahrhunderts zu dienen, von Zengi über die Fatimidenkalifen bis zu
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