Jerusalem: Die Biographie (German Edition)
vernichtet, aber die heiligen Stätten von al-Quds konfiszierten sie gnädigerweise, statt sie dem Erdboden gleichzumachen – vermutlich weil sie die Bauwerke für die biblischen Originale hielten. Balduin befestigte die Zitadelle, die bei Christen lange Davidsturm hieß und als Palast, Schatzkammer, Gefängnis und Garnison diente: Noch heute sind ihre Kreuzfahrergewölbe zu sehen. Als 1110 und 1113 Ägypter die Stadt bedrohten, riefen die Trompeten vom Davidsturm die Einwohner zu den Waffen. Die al-Aqsa-Moschee machte Balduin 1104 zum Königspalast.
Viele Kreuzfahrer glaubten, König Salomo oder zumindest Konstantin der Große hätten den Felsendom und die al-Aqsa-Moschee erbaut, obwohl manche genau wussten, dass beide islamische Bauwerke waren. Sie versahen die Kuppel des Felsendoms mit einem Kreuz und nannten ihn Templum Domini, Tempel des Herrn. Wie alle Eroberer Jerusalems nutzten auch die Franken die Spolien anderer Bauwerke für ihre eigenen Bauten: Balduin nahm das Bleidach seines al-Aqsa-Palastes, um die Grabeskirche zu renovieren.
Sigurd, der jugendliche König von Norwegen, der sich um das Mittelmeer vorgekämpft und dabei Ungläubige massakriert hatte, landete 1110 mit seiner Flotte von 60 Schiffen in Akko. Balduin geleitete den ersten König, der ihn besuchte, auf Straßen, die mit Teppichen und Palmzweigen geschmückt waren, nach Jorsalaborg hinein, wie die Nordmänner die Stadt nannten. Balduin bot Sigurd einen Splitter des Wahren Kreuzes an, wenn er ihm mit seiner Flotte half, Sidon zu stürmen. Sidon fiel – und die Norweger verbrachten den Winter in Jerusalem.
Balduin wehrte Invasionen der Atabegs von Damaskus und Mosul ab: Es war ein Leben voll ständiger Kriege und unaufhörlichem Geschachere, für das dieser König wie geschaffen war. Zu Beginn des Kreuzzugs hatte er Arda, die Tochter eines armenischen Potentaten, geheiratet, eine Verbindung, die ihm geholfen hatte, sich Edessa als Herrschaftsgebiet zu sichern. In Jerusalem stand Arda seinen Zielen jedoch im Weg. Er sperrte sie in das Sankt-Annen-Kloster nördlich vom Tempelberg und behauptete unritterlich, arabische Piraten hätten sie auf dem Weg nach Antiochia verführt (oder vergewaltigt). Sie setzte sich nach Konstantinopel ab und gab sich angeblich dort diversen Vergnügungen hin.
Balduin handelte eine einträgliche Heirat mit der reichen Adelaide, der Witwe des normannischen Grafen von Sizilien, aus: Sie traf mit drei Schiffen, Triremen, voller eleganter Höflinge, arabischer Leibwächter und ihrem Vermögen in Akko ein. Noch nie hatte Outremer etwas so Prachtvolles wie ihre Kavalkade erlebt. Die Straßen waren mit Teppichen und Fahnen geschmückt, als Balduin diese alternde Kleopatra in ein jubelndes Jerusalem führte. Ihre Hochnäsigkeit erwies sich jedoch als hinderlich, ihr Charme als ungenügend und ihr Vermögen als allzu vergänglich. Sie verabscheute das provinzielle Jerusalem und vermisste den Luxus von Palermo. Als Balduin schwer erkrankte, machte er sich Sorgen wegen seiner Doppelehe und schickte die Königin zurück nach Sizilien.
Unterdessen fand der König eine Lösung für die Bevölkerungsarmut Jerusalems. Als er 1115 in Transjordanien einfiel und dort Burgen baute, stieß er auf die von Armut geplagten syrischen und armenischen Christen und bot ihnen an, sich in Jerusalem niederzulassen – sie sind die Vorfahren der heutigen palästinensischen Christen.
Die Kreuzfahrer in Jerusalem standen vor einem strategischen Dilemma: Sollten sie nordwärts nach Syrien und Irak expandieren oder südwärts in das zerfallende Kalifat Ägypten? Balduin und seinen Nachfolgern war klar, dass sie eines dieser Territorien erobern mussten, um ihr Königreich zu sichern. Ihr strategischer Albtraum wäre ein Bündnis zwischen Syrien und Ägypten. Also überfiel Balduin 1118 Ägypten, aber als er haltmachte, um im Nil zu angeln, erkrankte er erneut. Man brachte ihn in einer Sänfte zurück, aber er starb unterwegs am Rand der Stadt El-Arish, wo der Bardawil-See nach ihm benannt ist. Er war ein begnadeter Abenteurer, der zum levantinischen König wurde und um den nun überraschenderweise »Franken, Syrer und sogar Sarazenen« trauerten.
Am Palmsonntag zogen die Jerusalemer feierlich mit ihren Palmzweigen durch das Kidrontal, als sie von Norden den Grafen von Edessa eintreffen sahen. Erst anschließend bemerkten sie von Süden den Katafalk des toten Königs, den seine trauernde Armee durch das judäische Bergland geleitete. [98]
Balduin
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