Jerusalem: Die Biographie (German Edition)
die er um sich hatte, miteinander spielten und einander zum Scherz mit den Nägeln an Händen und Armen kneipten, daß er allein, während alle andere ihren Schmerz durch Schreien zu erkennen gaben, alles ganz ruhig litt, als ob er keinen Schmerz empfände, ob sie ihn gleich nicht verschonten. Als dies einmal und öfter vorfiel und mir angezeigt wurde, … entdeckte ich endlich, daß sein rechter Arm und die rechte Hand unempfindlich sey … Ich ließ es also seinen Vater wissen, der die Ärzte um Rath fragte … Es war dieses Übel, wie sich nachher im Verlauf seines weiteren Lebens deutlich zeigte, der Anfang einer schweren und ganz unheilbaren Krankheit und von der wir nicht mit trockenen Augen reden können. [107]
Die Krankheit Balduins IV .
Wilhelms erfreulicher Schüler war ein Aussätziger – es stellte sich heraus, dass er Lepra hatte – und Erbe eines umkämpften Königreichs. [147] Am 15. Mai 1174 starb Nur al-Din, der Herrscher von Syrien und Ägypten und führende Kopf des neuen Dschihad. Selbst Wilhelm von Tyrus bewunderte ihn und fand, er sei ein »gerechter, umsichtiger, schlauer und nach dem Glauben seines Volkes frommer Fürst« gewesen.
König Amalrich zog unverzüglich nach Norden, um den Tod Nur al-Dins auszunutzen, erkrankte aber an Ruhr. Während arabische und fränkische Ärzte sich über die Behandlung stritten, starb er am 11. Juli mit nur 38 Jahren in Jerusalem. Der liebenswerte neue König Balduin IV. glänzte in seinen Studien bei Wilhelm, musste aber zahlreiche Behandlungen über sich ergehen lassen – Aderlässe, Einreibungen mit sarazenischen Salben und Einläufe. Über seine Gesundheit wachte ein arabischer Arzt, Abu Suleiman Dawud, dessen Bruder Balduin beibrachte, einhändig zu reiten, als seine Krankheit fortschritt.
Es dürfte schwerfallen, ein Beispiel für mehr Edelmut und Haltung zu finden als bei diesem todgeweihten jungen König, den sein ergebener Lehrer aufmerksam beobachtete. Er stellte fest, »daß er aufs Schlimmste an dem Aussatz litt, und dieser kam von Tag zu Tag immer weiter und griff ihm die Extremitäten und das Gesicht in solchem Grade an, daß seine Getreuen ihn nicht ohne das tiefste Mitleiden anschauen konnten«. Balduin war getrennt von seiner Mutter aufgewachsen, aber nun kehrte die anrüchige Agnes zurück, um ihren Sohn zu unterstützen, und begleitete ihn auf allen Feldzügen. Unklugerweise gab sie den König in die Hände eines arroganten Ministers, der als Seneschall diente. Als dieser in Akko ermordet wurde, nahm die Politik in Jerusalem bedrohliche Züge an.
Der Vetter des Königs, Graf Raimund III. von Tripolis, erhob Anspruch auf die Führung der Regierungsgeschäfte, stellte die Stabilität wieder her und ernannte den königlichen Erzieher, Wilhelm von Tyrus, zum Kanzler. Aber nun wurde der strategische Albtraum wahr, den Jerusalem immer gefürchtet hatte: Saladin, der Herrscher in Kairo, eroberte Damaskus und vereinte langsam, aber stetig Syrien, Ägypten, Jemen und weite Teile des Irak zu einem mächtigen Sultanat, das Jerusalem zu einer Enklave machte. Raimund von Tripolis, der zu den urbanen levantinischen Adeligen gehörte, die Arabisch sprachen, vereinbarte mit Saladin eine Waffenruhe, um sich Zeit zu verschaffen. Damit gewann aber auch Saladin Zeit.
Balduin bewies seinen Mut mit Überfällen auf Syrien und Libanon, aber während seiner häufigen Krankheiten befehdeten sich die Edelleute seines Reichs an seinem Krankenbett. Der Meister der Tempelritter zeigte sich zunehmend aufsässig, und die Hospitaliter führten einen Privatkrieg gegen den Patriarchen und schreckten nicht einmal davor zurück, in der Grabeskirche Pfeile abzuschießen. Ein Neuankömmling, der Kreuzzugsveteran Rainald von Châtillon, Herr von Kerak und Outrejourdain, sollte sich mit seinem aggressiv selbstbewussten Auftreten und seiner rücksichtslosen Großspurigkeit zugleich als Bereicherung und Bürde für Outremer erweisen.
Saladin begann mit Einfällen in das Königreich, griff Askalon an und zog weiter gegen Jerusalem. Voller Panik flüchteten sich die Einwohner in den Davidsturm. Askalon stand kurz vor dem Fall, als der aussätzige König mit Rainald und einigen hundert Rittern Ende November 1177 Saladins 26 000 Mann starkes Heer bei Montgisard nordwestlich von Jerusalem angriff. Angespornt vom Wahren Kreuz und Erscheinungen des heiligen Georg auf dem Schlachtfeld, errang Balduin einen triumphalen Sieg.
Bedrängte Tugend: der Sieg des aussätzigen
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