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Jerusalem: Die Biographie (German Edition)

Jerusalem: Die Biographie (German Edition)

Titel: Jerusalem: Die Biographie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Sebag Montefiore
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war er fest entschlossen, ihn zu behalten. Sein Sultansadler passte zu seinem Stil: ästhetische Pracht, adlerhafter Verfolgungswahn und plötzlicher Todesstoß. Seine Gefährten beförderte er und machte sie reich – aber dann strangulierte, zweiteilte oder vergiftete er sie ohne Vorwarnung. Offenbar zog er Pferde den Menschen vor: Angeblich kannte der hinkende Sultan den Stammbaum seiner 7800 Rennpferde auswendig und gab mehr für ein Pferd als für den prachtvollsten Sklavenjungen aus. Aber alles, was der Vorzügliche tat – seine Ehe mit einer Nachfahrin Dschingis Khans, seine 25 Kinder, seine 1200 Konkubinen –, tat er mit der aufwendigen Prachtentfaltung, die er auch nach Jerusalem brachte.
    Als er 1317 eine Pilgerfahrt nach Jerusalem unternahm, machte er seinen Generälen klar, dass es ihre heilige Pflicht sei, den Tempelberg und die umliegenden Straßen zu verschönern. Mit Unterstützung seines besten Freundes und syrischen Vizekönigs, Tankiz, erneuerte der Sultan die Befestigungen des Davidsturms, baute eine Freitagsmoschee für die Garnison, errichtete monumentale Kolonnaden und Medresen auf dem Tempelberg, deckte Felsendom und al-Aqsa-Moschee neu ein, baute das Minarett am Kettentor, das Tor der Baumwollhändler und den Markt der Baumwollhändler – die alle noch heute zu sehen sind.
    Nasir bevorzugte den Weg der Sufis zu Gott und baute fünf Klöster für seinen Mystikerorden. Mit ihren glanzvollen neuen Gebäuden, ihren Tänzen, Gesängen, Trancezuständen und gelegentlich sogar Selbstverstümmelungen, durch die sie die nötige Verzückung im Streben nach Gott zu erlangen suchten, gaben sie Jerusalem etwas von seiner heiligen Magie zurück.
    Die Untergebenen des Sultans verstanden die Botschaft: Er und seine Nachfolger verbannten in Ungnade gefallene Emire nach Jerusalem und erwarteten von ihnen, dass sie ihren unrechtmäßig erworbenen Reichtum für aufwendige Paläste, Medresen und Mausoleen ausgaben. [166] Je näher am Tempelberg, umso früher würden sie am Jüngsten Tag auferstehen. Sie schufen riesige Gewölbe als Unterkonstruktionen für ihre Bauten oder setzten sie geschickt auf die Dächer vorhandener Gebäude rund um die Tore des Haram. [167]
    Nasir fand Jerusalem – zumindest das muslimische Viertel – heruntergekommen und vernachlässigt vor und hinterließ es marmorprangend. Als Ibn Battutah die Stadt besuchte, empfand er sie daher als »groß und imposant«. Islamische Pilger strömten nach al-Quds, erkundeten die Stätten von der Hölle Gehenna bis zum Paradies des Felsendoms und lasen die fadail , die ihnen erklärten: »Eine dort begangene Sünde ist wie tausend Sünden und eine dort begangene gute Tat ist wie tausend gute Taten.« Wer dort lebt, »ist wie ein Krieger im Dschihad«, und dort zu sterben »ist wie im Himmel zu sterben«. Jerusalems Mystizismus blühte in einem Maße, dass Muslime anfingen, den heiligen Felsen zu umschreiten, zu küssen und zu salben, wie sie es seit sieben Jahrhunderten nicht mehr getan hatten. Der fundamentalistische Gelehrte Ibn Taymiyya wetterte gegen Nasir und diesen Sufi-Aberglauben und warnte, Jerusalem gelte lediglich als Besuch einer heiligen Stätte – ziyara – und sei keineswegs gleichwertig mit einem Hadsch nach Mekka. Sechsmal sperrte der Sultan diesen puritanischen Dissidenten ein, aber ohne Erfolg. Der strenge Wahabismus Saudi-Arabiens und heutige Dschihadisten sind von Ibn Taymiyya inspiriert.
    Da der Vorzügliche Sultan der Elite aus türkischen Mamelucken nicht mehr traute, ging er dazu über, für seine Leibgarde georgische und tscherkessische Sklavenjungen aus dem Kaukasus zu kaufen, was seine Entscheidungen in Jerusalem beeinflusste: Er übergab die Grabeskirche den Georgiern. Aber die Lateiner hatten diese heilige Stätte ebenfalls nicht vergessen: König Robert von Neapel erhielt 1333 vom Sultan die Erlaubnis, Teile der Kirche instand zu setzen und das Coenaculum, den Abendmahlssaal auf dem Berg Zion zu übernehmen, wo er ein Franziskanerkloster gründete.
    Kranke Tiger sind bekanntlich die gefährlichsten. Der Sultan erkrankte, aber inzwischen war sein Freund Tankiz »so mächtig, dass er ihn zu fürchten begann«. Schließlich ließ er Tankiz 1340 verhaften und vergiften. Ein Jahr später starb Nasir, und seine zahlreichen Söhne traten seine Nachfolge an. Letzten Endes stürzten die neuen kaukasischen Sklaven seine Dynastie und begründeten eine neue mameluckische Sultanslinie, die die Georgier in Jerusalem favorisierte.

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