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Jerusalem: Die Biographie (German Edition)

Jerusalem: Die Biographie (German Edition)

Titel: Jerusalem: Die Biographie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Sebag Montefiore
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Haar abrasierten und es in die Grabeskirche legten. Zahlreiche Pilger verbrachten viel Zeit damit, ihre Initialen in jeden Schrein zu ritzen, den sie besuchten. Findige Muslime bedienten den Handel mit Reliquien: Wie Pilger behaupteten, balsamierten sie totgeborene Babys ein und verkauften sie reichen Europäern als Opfer des Blutbads an den unschuldigen Kindern.
    Manche Pilger waren überzeugt, dass in der Grabeskirche gezeugte Kinder besonders gesegnet seien. Selbstverständlich gab es auch Alkohol, so dass die Nachtstunden häufig zu Trinkgelagen bei Kerzenschein ausarteten und fromme Gesänge wilden Raufereien wichen. Die Grabeskirche war ein »einziges Freudenhaus«, wie ein Pilger angewidert feststellte. Ein anderer, der schelmische deutsche Ritter Arnold von Harff, lernte Sätze auf Arabisch und Hebräisch, die Einblicke in seine Interessen erlauben:
Willst du mir das geben? …
Bist du ein Jude? …
Frau, lasst mich diese Nacht bei Euch schlafen.
Ich will dir einen Gulden geben.
    Die Franziskaner hießen katholische Besucher willkommen und dienten ihnen als Führer: Ihr Reiseführer, der den Weg Christi nachzeichnete, begann an der Residenz des Mameluckenstatthalters, wo sie das Praetorium des Pilatus vermuteten. Dieser Ort bildete die erste Station auf dem Weg des Herrn, der späteren Via Dolorosa. Voller Entsetzen stellten Pilger fest, dass man christliche Stätten islamisiert hatte; so stand anstelle der Annakirche – am Geburtsort der Mutter der Jungfrau Maria – nun Saladins Medrese. Der deutsche Mönch Felix Fabri schlich sich in dieses Heiligtum, während Arnold von Harff sein Leben riskierte, als er sich verkleidet auf den Tempelberg schmuggelte – beide berichteten über ihre Abenteuer. Ihre unterhaltsamen Reisebeschreibungen waren in einem neuen Ton gehalten, der ebenso von neugieriger Leichtigkeit wie von Ehrfurcht geprägt war.
    Aber Christen und Juden waren nie ganz sicher vor der Unterdrückung der launischen Mamelucken – und die Heiligkeit war in Jerusalem so ansteckend, dass ein Streit zwischen den beiden älteren Religionen um das Grab Davids auf dem Berg Zion die Sultane veranlasste, es für die Muslime zu beanspruchen.
    Mittlerweile gab es in Jerusalem im späteren jüdischen Viertel eine jüdische Gemeinde mit etwa 1000 Einwohnern. Sie beteten in ihrer Rambansynagoge und an den Toren zum Tempelberg (vor allem an ihrem Studienhaus an der Westmauer) und auf dem Ölberg, wo sie von nun an ihre Toten begruben, damit sie für den Jüngsten Tag bereit wären. Sie verehrten inzwischen auch das christliche Davidsgrab (das nichts mit dem tatsächlichen David zu tun hatte, sondern aus der Kreuzfahrerzeit stammte) im Coenaculum, das den Franziskanern unterstand. Da die Christen versuchten, ihren Zugang zu dieser Stätte einzuschränken, beschwerten die Juden sich in Kairo – was für beide Seiten unangenehme Folgen hatte. Der amtierende Sultan Barsbay war empört, als er erfuhr, dass sich eine solche Stätte in den Händen der Christen befand, und reiste nach Jerusalem, riss die Franziskanerkapelle ab und baute an ihrer Stelle eine Moschee in das Davidsgrab. Einige Jahre später vereinnahmte einer seiner Nachfolger, Sultan Jaqmaq, den gesamten Berg Zion für den Islam. Aber es sollte noch schlimmer kommen: Alte Restriktionen wurden erneut durchgesetzt und neue ersonnen. So galten Beschränkungen für die Größe von Turbanen bei Christen und Juden; in den Bädern mussten jüdische und christliche Männer eiserne Halsreifen tragen wie Vieh, ihren Frauen war der Zugang zu den Bädern vollends untersagt; außerdem verbot Jaqmaq jüdischen Ärzten, Muslime zu behandeln. [169] Nachdem die Rambansynagoge bei einem Sturm eingestürzt war, verbot der Kadi ihren Wiederaufbau mit der Begründung, das Gebäude gehöre zur benachbarten Moschee. Als die Juden mit Bestechung die Rücknahme dieser Entscheidung erwirkten, riss die örtliche Ulema die Synagoge einfach ab.
    Am 10. Juli 1452 kam es in Jerusalem zu einem antichristlichen Pogrom, bei dem die Gebeine christlicher Mönche ausgegraben, eine neue Balustrade in der Grabeskirche abgerissen und triumphierend in die al-Aqsa-Moschee gebracht wurde. Manchmal verhielten Christen sich geradezu krankhaft provozierend. So schrien vier Franziskanermönche in der al-Aqsa-Moschee: »Mohammed war ein Wüstling, Mörder und Vielfraß«, der »an Hurerei« geglaubt habe. Der Kadi gab ihnen die Chance zu widerrufen. Als sie sich weigerten, wurden sie gefoltert und

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