Jerusalem: Die Biographie (German Edition)
so blieb Jerusalem mameluckisch. Ibn Khaldun, der nach seiner Begegnung mit Tamerlan wohlbehalten nach Kairo zurückgekehrt war, starb ein Jahr später. Sein Schüler Sultan Faraj vergaß seine ereignisreiche Reise nie: Er kam häufig nach Jerusalem, hielt auf dem Tempelberg unter dem königlichen Baldachin Hof, umgeben von den gelben Fahnen des Sultanats, und verteilte Gold an die Armen.
In dieser Kleinstadt mit überdimensionierten Leidenschaften lebten damals nur 6000 Jerusalemer, darunter 200 jüdische und 100 christliche Familien. In der Stadt herrschten gefährliche, instabile Verhältnisse: Die Jerusalemer rebellierten 1405 gegen exorbitante Steuern und jagten den mameluckischen Statthalter aus der Stadt. Die Archive des Haram vermitteln einen Eindruck von Jerusalems Dynastien von Religionsrichtern, Sufischeichs, verbannten Mameluckenemiren und wohlhabenden Kaufleuten in einer Welt, die von Koranstudien, dem Sammeln von Büchern, dem Handel mit Olivenöl und Seife und Übungen im Bogenschießen und Schwertkampf geprägt war. Da Kreuzzüge nun keine Bedrohung mehr darstellten, presste man christliche Pilger als Haupteinnahmequelle aus. Dennoch waren sie alles andere als willkommen: Häufig nahm man sie aufgrund falscher Anschuldigungen fest, bis sie willkürlich festgelegte Bußgelder bezahlten. »Ihr müsst entweder bezahlen, oder ihr werdet totgeprügelt«, erklärte ein Dolmetscher seinen christlichen Klienten im Gefängnis. [125]
Es war schwer zu sagen, wer schlimmer war – die korrupten Mamelucken, die verrufenen Pilger, die sich befehdenden Christen oder die gierigen Jerusalemer. Unter den Pilgern gab es so viel zwielichtiges Gesindel, dass man die Einheimischen und die Reisenden warnte: »Hütet euch vor allen, die nach Jerusalem reisen«, andererseits hieß es selbst bei den Muslimen: »Niemand ist so korrupt wie die Einwohner heiliger Städte.«
Gelegentlich fielen die Mameluckensultane über die Stadt her, um Christen und Juden zu unterdrücken, die ohnehin schon regelmäßig der Lynchjustiz des Jerusalemer Pöbels ausgesetzt waren.
Korruption und Unordnung fingen schon am Hof in Kairo an: Da nach wie vor kaukasische Sultane das Reich regierten, war das christliche Jerusalem von Armeniern und Georgiern dominiert, die sich gegenseitig – und selbstverständlich auch die Katholiken – hassten, während die katholischen Franziskaner Unterstützung aus Europa hatten. Den Armeniern, die ihr Viertel rund um die Jakobuskirche aggressiv ausdehnten, gelang es durch Bestechung der Mamelucken, den Georgiern den Kalvarienberg abzunehmen, allerdings überboten die Georgier sie anschließend und bekamen ihn wieder. So ging der Kalvarienberg innerhalb von dreißig Jahren fünfmal in andere Hände über.
Es ging um Bestechungsgelder und Einkünfte in gewaltiger Höhe, da die Pilgerfahrt sich in Europa großer Beliebtheit erfreute. Europäer hatten nicht den Eindruck, dass die Kreuzzüge vorüber waren – immerhin war die katholische Rückeroberung Spaniens auch ein Kreuzzug –, und obwohl es keine Feldzüge zur Befreiung Jerusalems gab, hatten doch alle Christen das Gefühl, die Heilige Stadt zu kennen, selbst wenn sie nie dorthin gereist waren. Jerusalem kam in Predigten, Gemälden und Tapisserien vor. An vielen Orten standen Jerusalemkapellen, gestiftet von Jerusalem-Bruderschaften aus ehemaligen Pilgern oder Gläubigen, die diese Wallfahrt nicht machen konnten. Im Westminster Palace gab es ein Jerusalem-Zimmer, und von Paris im Westen bis nach Preußen und Livland im Osten schmückten sich viele Gegenden mit Orten, die Jerusalem hießen. Das einzige Jerusalem in England, ein winziges Dorf in Lincolnshire, entsprang dem Wiederaufleben dieser Jerusalem-Begeisterung. Alljährlich gingen jedoch Tausende auf diese Pilgerfahrt, und viele von ihnen waren für ihren durchaus unheiligen Lebenswandel berüchtigt. [168] Chaucers flotte Witwe aus Bath war dreimal in Jerusalem.
Pilger mussten mehrfach Abgaben und Wegzölle entrichten, um nach Jerusalem und in die Grabeskirche zu kommen, wo die Mamelucken auch das Heilige Grab verwalteten. Jeden Abend verschlossen sie die Kirche, so dass Pilger sich gegen ein Entgelt für Tage und Nächte dort einschließen lassen konnten, wenn sie wollten. Die Pilger fanden eine Kirche vor, die einer Mischung aus Basar und Barbierladen ähnelte, voll mit Ständen, Läden, Schlaflagern und Unmengen von Menschenhaar: Viele glaubten, dass Krankheiten geheilt würden, wenn sie sich das
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