Jerusalem: Die Biographie (German Edition)
heiratete er sie (in Nachahmung des Propheten Hosea, der eine Prostituierte geheiratet hatte). Während er mit ihr durch den Mittelmeerraum reiste, waren die Juden in ganz Europa gespalten zwischen Skeptikern und begeisterten Anhängern, die ihre Sachen packten, sich auf die Reise nach Jerusalem begaben, um den Messias zu begrüßen, sich geißelten, fasteten und sich nackt in Schlamm und Schnee wälzten. Ende 1666 kam das Paar nach Istanbul, wo Juden sie jubelnd begrüßten. Als König der Juden hatte Sabbatai imperial-universale Autorität beansprucht und seine Brüder zu Königen von Rom und der Türkei ernannt. Nun führten seine Ambitionen auf die Sultanskrone zu seiner Verhaftung. Der Sultan machte dem »König der Juden« ein Angebot, das er nicht ablehnen konnte: Entweder er vollbrachte das Wunder, eine Salve von Pfeilen zu überleben, oder er konvertierte zum Islam. Sabbatai entschied sich für die Konversion.
Für die meisten bedeutete diese Apostasie den Tod ihres Traums, noch bevor Sabbatai in seinem Exil in Montenegro starb – und Jerusalems Juden waren froh, diesen Störenfried und Scharlatan nicht mehr zu sehen. [176] Die Ära Cromwells und Sabbatais war auch das goldene Zeitalter islamischer Mystiker in Jerusalem, wo die osmanischen Sultane alle Sufiorden förderten, die bei den Türken Derwische hießen. Wie Christen und Juden die Stadt sahen, wurde bereits geschildert. Nun kommen wir zu einem äußerst unkonventionellen osmanischen Höfling, Derwisch, Gelehrten, Erzähler und Bonvivant namens Evliya, der die Eigenheiten Jerusalems liebevoll aus islamischer Sicht und mit einer heiteren Note beschrieb, was ihn vermutlich zum größten islamischen Reiseschriftsteller machte. [133]
Evliya Celebi: der osmanische Pepys und Falstaff
Schon zu seiner Zeit muss Evliya durchaus einmalig gewesen sein: Dieser wohlhabende Reisende, Schriftsteller, Sänger, Gelehrte und Krieger wurde 1611 als Sohn des Hofgoldschmieds in Istanbul geboren, am Sultanshof von der Ulema des Reiches erzogen und erhielt im Traum von Mohammed den Rat, die Welt zu bereisen. Er wurde der »Weltreisende und gute Freund der Menschheit«, wie er selbst es ausdrückte, und bereiste nicht nur das gesamte Osmanische Reich, sondern auch christliche Länder und zeichnete seine Abenteuer in einem erstaunlichen zehnbändigen Werk auf. Zur gleichen Zeit, als Samuel Pepys in London seine Tagebücher schrieb, verfasste Evliya in Istanbul, Kairo und Jerusalem sein Seyahatname (Reisebuch), »die längste und umfassendste Reisebeschreibung der islamischen Literatur, vielleicht sogar der Weltliteratur«. Kein anderer islamischer Schriftsteller schrieb so poetisch über Jerusalem oder so witzig geistreich über das Leben.
Evliya lebte buchstäblich von seinem Witz, denn er gewann mit seinen unwiderstehlichen Scherzen, Reimen und Schelmenliedern die Gunst Mehmets IV. und konnte in der Entourage osmanischer Würdenträger mitreisen, die ihn wegen seiner religiösen Kenntnisse und seiner übersprudelnden Unterhaltungskünste engagierten. Seine Bücher sind teils ein Almanach gesammelter Fakten, teils Anthologien erstaunlicher Anekdoten: Evliya Celebi (ein Titel, der schlicht »gebildeter Herr« bedeutet) kämpfte einerseits gegen die Habsburger, traf aber auch den Kaiser des Heiligen Römischen Reiches in Wien und beeindruckte ihn mit seinem Wissen über das Heilige Grab in Jerusalem, das er aus eigener Anschauung kannte. Voller Selbstironie schilderte er seine Falstaff’sche Flucht aus der Schlacht – »auch Flucht ist eine mutige Tat« – in der wohl seltsamsten und komischsten Fäkalszene der Militärgeschichte. [177]
Evliya heiratete nie und weigerte sich, ein Amt im Dienst des Sultans anzunehmen, das ihn in seiner Reisefreiheit eingeschränkt hätte. Oft bekam er Sklavenmädchen und schrieb über Sex ebenso witzig wie über alles andere: Er nannte es »die süße Misere« und den »schönen Ringkampf«, schilderte munter seine vorübergehende Impotenz, die mit ägyptischer Schlangenbrühe kuriert wurde, und scherzte gewagt, Sex sei der »größere Dschihad«. Das für heutige Leser Erstaunlichste ist wohl, dass ein gläubiger Muslim ständig Witze über den Islam machte, die heute unvorstellbar wären.
Obwohl dieser Gelehrte den gesamten Koran in acht Stunden rezitieren und als Muezzin fungieren konnte, war er ungewöhnlich glattrasiert, respektlos, aufgeschlossen und gegen jeden Fanatismus, sei er islamisch, christlich oder jüdisch. Als
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