Jerusalem: Die Biographie (German Edition)
Jeder Klan verteidigte entschlossen seine lukrative Machtbasis und versuchte sie auszuweiten. [180] Aber Reichtum wäre ohne Gelehrsamkeit vulgär, der Stammbaum ohne Wohlstand machtlos und die gesellschaftliche Stellung ohne osmanische Förderung unmöglich gewesen. Gelegentlich kam es zwischen den Familien zu blutigen Kämpfen: Zwei Nusseibehs wurden von einer Bande der Husseinis bei Abu Gosh aus dem Hinterhalt überfallen und getötet, aber wie üblich schlossen die Familien Frieden, indem der überlebende Bruder der Opfer die Schwester des Muftis von Jerusalem heiratete.
Aber selbst diese Jerusalemer Familien konnten den Wohlstand in einer Stadt nicht gewährleisten, die immer wieder heimgesucht wurde von Kämpfen innerhalb der für ihre Ausschweifungen berüchtigten Garnison mit 500 Soldaten, von Beduinenüberfällen, Aufständen Einheimischer und korrupten Statthaltern. Die Bevölkerung schrumpfte auf 8000 Einwohner und wurde vom Gouverneur von Damaskus ausgepresst, der alljährlich mit einer kleinen Armee kam, um die Steuern einzutreiben. [181]
Die Juden, die keinerlei Unterstützung aus Europa bekamen, hatten bitter zu leiden. Gedaliah, ein Aschkenasim aus Polen, schrieb: »Die Araber misshandeln die Juden oft in aller Öffentlichkeit. Wenn einer von ihnen einen Juden schlägt, geht der Jude geduckt weg. Würde ein wütender Türke einen Juden schmählich und fürchterlich mit seinem Schuh verprügeln, würde niemand dem Juden beistehen.« Sie lebten in verwahrlosten Verhältnissen, weil sie ihre Häuser nicht reparieren durften. Zweihundert jüdische Familien ergriffen die Flucht. Ein jüdischer Pilger schrieb 1766: Da »die Verfolgungen und Erpressungen täglich zunahmen, musste ich nachts aus der Stadt fliehen. Jeden Tag wurde jemand ins Gefängnis geworfen.«
Die Christen hassten einander mehr, als sie die Ungläubigen verabscheuten – der Franziskanerpater Elzear Horn nannte die Griechen schlicht »den Auswurf«. Jede Religionsgemeinschaft weidete sich an allen schäbigen Unannehmlichkeiten und armseligen Demütigungen, die ihre Rivalen in der Grabeskirche erfuhren. Aufgrund der osmanischen Aufsicht und der Konkurrenz unter den Christen wurden die 300 ständigen Bewohner der Grabeskirche jeden Abend eingeschlossen und lebten nach Evliyas Ansicht »mehr wie Gefangene« denn als Priester in einem ständigen Belagerungszustand. Essen reichte man ihnen durch ein Loch in der Tür oder mit Hilfe eines Flaschenzugs durch ein Fenster ihrer Zelle. Diese – meist orthodoxen, katholischen oder armenischen – Mönche lebten auf engstem Raum in einer feuchten Umgebung voller Spannungen und litten an »Kopfschmerzen, Fieber, Geschwüren, Durchfall und Ruhr«. Die Latrinen der Grabeskirche waren ein besonderes Problem – und stanken. Jede Religionsgemeinschaft hatte ihre eigenen sanitären Einrichtungen, aber laut Pater Horn litten die Franziskaner »sehr unter dem Gestank«. Die Griechen besaßen gar keine Latrinen. Die armen kleineren Gemeinschaften wie die Kopten, Äthiopier und Syrer konnten sich ihr Essen nur verdienen, indem sie niedere Arbeiten verrichteten und beispielsweise die Nachttöpfe der Griechen ausleerten. Kein Wunder, dass der französische Schriftsteller Constantin Volney hörte, die Jerusalemer hätten »verdientermaßen den Ruf, das schlimmste Volk in Syrien zu sein«.
Als die Franzosen das Prädominium wieder für die Franziskaner erwirkten, schlugen die griechisch-orthodoxen Christen zurück. Am Abend vor dem Palmsonntag 1757 überfielen sie die Franziskaner in der Rotunde der Grabeskirche aus dem Hinterhalt mit »Knüppeln, Keulen, Haken, Dolchen und Schwertern«, die sie hinter Säulen und unter ihren Kutten versteckt hatten, zerschlugen Lampen und rissen Wandbehänge herunter. Die Franziskaner flüchteten in das Erlöserkloster, wo sie belagert wurden. Diese Mafiataktik wirkte: Der Sultan übertrug die Oberaufsicht über die Grabeskirche wieder den griechisch-orthodoxen Christen, die sie bis heute innehaben. [136] Die osmanische Macht in Palästina brach allmählich zusammen. Ab den 1730er Jahren schuf sich der Beduinenscheich Zahir al-Umar al-Zaydani in Nordgaliläa ein eigenständiges Fürstentum, das er von Akko aus regierte – von kurzlebigen Aufständen abgesehen war dies die einzige Ära, in der ein einheimischer palästinensischer Araber über einen größeren Teil Palästinas herrschte.
Der Aufstieg und Fall des »Königs von Palästina«
Ali Bey, ein ägyptischer General,
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