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Jerusalem: Die Biographie (German Edition)

Jerusalem: Die Biographie (German Edition)

Titel: Jerusalem: Die Biographie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Sebag Montefiore
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»wandernder Derwisch« war er fasziniert von Jerusalem, »der alten Qibla«, die »gegenwärtig die Kaaba der Armen (und der Derwische) ist« – die Hauptstadt und das eigentliche Mekka des Sufismus: Er zählte 70 Sufiklöster, das größte am Damaskustor, mit Derwischen unterschiedlichster Herkunft von Indien bis zur Krim, und schilderte, wie Angehörige eines jeden Ordens mit ekstatischen Gesängen und Tänzen den Zikr die ganze Nacht bis zum Morgengrauen übten.
    Jerusalem mit seinen 240 Gebetsnischen und 40 Medresen war laut Evliya »Gegenstand der Begierde bei den Königen aller Länder«. Aber ihn beeindruckte vor allem die atemberaubende Schönheit und Heiligkeit des Felsendoms: »Dieser Bescheidene ist 38 Jahre durch 17 Reiche gereist und hat unzählige Bauwerke gesehen, aber noch nie eines, das so sehr dem Paradies gleichkommt. Beim Eintritt steht man benommen und staunend mit dem Finger am Mund da.« In der al-Aqsa-Moschee, wo der Prediger jeden Freitag mit dem Schwert Kalif Omars auf die Kanzel stieg und 800 Diener den Ablauf der Rituale unterstützten, beobachtete Evliya, wie die Mosaiken das Sonnenlicht reflektierten: »Die Moschee erstrahlt vor Licht und die Augen der Versammelten leuchten beim Beten vor Ehrfurcht.«
    Im Felsendom sah Evliya »alle Pilger vor dem Gitter um den Felsen herumgehen«, den Tempelberg erlebte er als »eine mit Rosen, Hyazinthen und Myrte geschmückte Promenade, erfüllt von berauschendem Nachtigallengezwitscher«, und die meisten Legenden nahm er gern auf – dass König David mit dem Bau der al-Aqsa-Moschee begonnen habe und Salomo »als Sultan aller Kreaturen den Dämonen befahl, den Bau zu vollenden«. Aber als man ihm Seile zeigte, die Salomo angeblich 3000 Jahre zuvor gemacht hatte, konnte er nicht umhin auszurufen: »Wollt ihr mir sagen, diese Seile, mit denen die Dämonen gefesselt wurden, sind nicht verrottet?«
    Selbstverständlich besuchte er Ostern die Grabeskirche und reagierte darauf ganz ähnlich wie die englischen Protestanten. Das Geheimnis des Heiligen Feuers erklärte er mit einem verborgenen Zinnkrug mit Naphta, das ein versteckter Mönch an einer Kette herunterträufeln ließ, um das jährliche Wunder zu bewirken. Das Fest war für ihn ein »Höllenspektakel« und die Grabeskirche »ohne jede Spiritualität, mehr wie eine Besucherattraktion«, aber ein Protestant, mit dem er plauderte, machte dafür die griechisch-orthodoxen Christen verantwortlich, »ein dummes, leichtgläubiges Volk«.
    Evliya kam mehrmals nach Jerusalem, bevor er sich nach Kairo zurückzog, um seine Bücher zu schreiben, aber nie sah er etwas dem Felsendom Vergleichbares – »wahrhaftig die Nachbildung eines Pavillons im Paradies«. Nicht alle teilten seine Meinung: Konservative Muslime waren entsetzt über die Tänze, Wundertaten und den Heiligenkult der Sufis, die Evliya so genoss. »Manche Frauen enthüllen ihre Gesichter, stellen ihre Schönheit, ihren Schmuck und ihr Parfüm zur Schau. Bei Gott, sie saßen sogar Wange an Wange mit Männern!«, ereiferte sich Qashashi und schimpfte über das »aufgeregte Geschrei und Tanzen«, Tamburinspiel und den Verkauf von Süßigkeiten: »Das sind die Tage der Teufelshochzeit.«
    Die Osmanen befanden sich mittlerweile im Niedergang, und die Sultane schwankten hin und her zwischen den Forderungen europäischer Mächte, die jeweils ihre eigene christliche Religionsgemeinschaft unterstützten. Als die katholischen Österreicher und Franzosen das Prädominium über die heiligen Stätten erlangten, bearbeiteten die Russen, eine ungestüme neue Macht in Europa und Jerusalem, die Osmanen so lange mit Lobbyarbeit und Bestechung, bis sie die Stätten wieder den orthodoxen Christen unterstellten. Schon bald bekamen die Franziskaner sie wieder, aber dreimal kam es in der Grabeskirche zu handgreiflichen Auseinandersetzungen. [178] Nach ihrer Niederlage auf dem Schlachtfeld schlossen die Osmanen 1699 den Frieden von Karlowitz, der es den Großmächten erlaubte, ihre Brüder in Jerusalem zu beschützen – eine Konzession mit verheerenden Folgen. [134]
    Istanbuls Statthalter hatten Palästina mittlerweile so geknechtet, dass die Bauern rebellierten. Der neue Statthalter von Jerusalem schlug 1702 einen Aufstand nieder und stellte die Köpfe der Opfer auf den Stadtmauern zur Schau. Als er jedoch ein Dorf verwüstete, das dem Religionsführer, dem Mufti, von Jerusalem gehörte, prangerte der Kadi ihn beim Freitagsgebet in der al-Aqsa-Moschee an und öffnete

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