Jerusalem: Die Biographie (German Edition)
den Rebellen die Stadttore.
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Die Familien
1705 – 1799
Die Husseinis: Die Revolte des Naqib al-Ashraf und der Hundepogrom
Bewaffnete Bauern zogen marodierend durch die Straßen. Der Kadi, der oberste Richter, stürmte mit Unterstützung der Garnison das Gefängnis und übernahm das Kommando in Jerusalem. In einem ihrer denkwürdigeren Momente erlebte die Stadt eine Phase der Unabhängigkeit: Der Kadi ernannte aufgrund von Bestechung Muhammad ibn Mustafa al-Husseini zum Oberhaupt der Stadt.
Husseini stand an der Spitze eines bedeutenden Jerusalemer Klans, der ein Jahrhundert zuvor im Kielwasser der Farrukhs den Aufstieg geschafft hatte, war aber außerdem auch der Naqib al-Ashraf, also das Oberhaupt der Familien, die über Mohammeds Enkel Hussein vom Propheten abstammten: Nur der Ashraf durfte den grünen Turban tragen und sich Sajjid nennen lassen.
Um die Revolte niederzuschlagen, entsandten die Osmanen Truppen, die vor der Stadt ihr Lager aufschlugen. Als Husseini zeigte, dass er für eine Belagerung bereit war, zogen sich die Truppen nach Gaza zurück. In Jerusalem hatte der Aufstand eine Tyrannei durch eine andere ersetzt. Juden war es verboten, sich am Sabbat weiß zu kleiden, muslimische Kopfbedeckungen und genagelte Schuhe zu tragen; Christen waren ähnlichen Kleidungsvorschriften unterworfen; und beide mussten Muslimen auf der Straße Platz machen. Auf Verstöße standen unverschämt hohe Bußgelder, die mit Gewalt eingetrieben wurden. Eine messianische Sekte mit 500 polnischen Juden unter der Führung von Juda dem Frommen war erst kürzlich aus Grodno eingetroffen. Aber ihr Rabbi starb, und da sie nur Polnisch und Jiddisch sprachen, waren sie ausgesprochen hilflos und bald verarmt.
Als ein streunender Hund auf den Tempelberg lief, befahl der Kadi, sämtliche Hunde in Jerusalem zu töten. Als besondere Demütigung musste jeder Jude und jeder Christ tote Hunde an einer Sammelstelle vor dem Ziontor abliefern. Kinderbanden töteten Hunde und gaben die Kadaver dem nächstbesten Ungläubigen.
Sobald ein stärkeres osmanisches Heer eintraf, kehrten die Garnison und die Sufimystiker den Aufständischen den Rücken und besetzten den Davidsturm. Husseini verschanzte sich in seinem Haus, und beide Seiten beschossen sich drei Tage lang. Bei den Gefechten füllten sich die Straßen im Nordteil der Altstadt mit Leichen – und Husseini verlor noch mehr Unterstützung. Von außerhalb der Stadt bombardierten die Osmanen den Tempelberg. In der Nacht des 28. November 1705 erkannte Husseini, dass er auf verlorenem Posten stand, und flüchtete, verfolgt von den Osmanen. Der neue Statthalter presste Juden und Christen weiter aus. Viele der ausgeraubten Juden verließen die Stadt, die polnischen Aschkenasim waren 1720 am Ende, da ihnen Gefängnis, Verbannung und der Ruin drohte und ihre Synagoge im jüdischen Viertel durch einen Brand zerstört wurde. [179] Die Sephardim – die kleine, alteingesessene jüdische Gemeinde, die in der arabischen und osmanischen Welt beheimatet war – überlebte.
Husseini wurde gefangen genommen und enthauptet. Nach langwierigen dynastischen Rivalitäten löste Abd al-Latif al-Ghudayya die Husseinis später als Naqib ab, und seine Familie nahm im Laufe des Jahrhunderts den angesehenen Namen Husseini an. So wurden die Ghudayyas die neuen Husseinis, die mächtigste unter den herrschenden Jerusalemer Familien – und blieben es bis ins 21. Jahrhundert. [135]
Die Husseinis: Aufstieg der Familien
Alle wichtigen Besucher, die im 18. Jahrhundert nach Jerusalem kamen, wollten beim Oberhaupt dieses Klans zu Gast sein, dessen Haus für Bauern, Gelehrte und osmanische Offiziere gleichermaßen offen stand; es heißt, jeden Abend habe er achtzig Gäste zum Essen bewirtet. »Jeder von nah und fern besucht ihn«, schrieb ein solcher Gast über den »Palast« Abd al-Latif al-Ghudayyas, der Jerusalem beherrschte. »Fremde finden Zuflucht und wohnen dort nach Belieben.« Abd al-Latifs Besucher verließen Jerusalem, eskortiert von einer Schwadron seiner Reiter.
Der erneute Aufschwung der Husseinis markierte den Aufstieg der großen Jerusalemer Familien. Praktisch alle ehrenvollen Ämter in Jerusalem waren erblich. Die meisten Familien stammten von Sufischeichs ab, die der eine oder andere Eroberer gefördert hatte. Die meisten änderten im Laufe der Zeit ihre Namen, erfanden großartige Stammbäume, befehdeten sich gegenseitig und heirateten untereinander – ganz ähnlich wie Adelsdynastien im Westen.
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