Jerusalem: Die Biographie (German Edition)
die französischen Sanitäter weigerten, fand sich ein türkischer Arzt, der den Verwundeten eine tödliche Dosis Laudanum verabreichte. Wenig verwunderlich, dass der französische General Jean-Baptiste Kléber klagte: »Wir haben im Heiligen Land furchtbare Sünden auf uns geladen und schwere Fehler begangen.« Angeführt vom Gouverneur der Stadt nahmen zweitausend berittene Jerusalemer die Verfolgung der fliehenden Franzosen auf. Als die Bauernsoldaten aus Nablus in Jaffa einfielen, verhinderte Smith ein Massaker an den Christen, indem er die Jerusalemer aufrief, die Ordnung wiederherzustellen.
In Ägypten kehrte Napoleon, in der Erkenntnis, dass dieser verheerende Feldzug nur noch durch schamloses Lügen zu retten war, seinen Truppen den Rücken und nahm Kurs auf die Heimat. General Kléber, nunmehr Oberbefehlshaber in Ägypten, verfluchte Napoleon: »Der Scheißkerl hat uns im Stich gelassen, weil er die Hosen voll hat.« In Frankreich dagegen wurde Napoleon bei seiner Rückkehr als Held und Eroberer gefeiert. Er übernahm bald darauf als 1. Konsul die Macht vom Direktorium, [184] und ein romantisierendes Lied – »Partant pour la Syrie« – wurde zur Hymne des bonapartistischen Frankreich.
In Jerusalem drohte den Christen, insbesondere den Katholiken, die Rache der Muslime. Smith, stets ein Freund der großen Gesten, kam zu dem Schluss, dass nur eine Demonstration englischer Kaltblütigkeit seine Brüder im Glauben retten konnte. Mit der Zustimmung des Schlächters und des Sultans ließ er seine Männer in Paradeuniform und die Trommeln schlagend von Jaffa nach Jerusalem und durch die Straßen der Stadt marschieren. Dort hisste er die britische Flagge über dem Erlöserkloster, dessen franziskanischer Abt erklärte, jeder Christ in Jerusalem sei »der englischen Nation und vor allem Smith zu größtem Dank verpflichtet, durch den sie der unbarmherzigen Hand Bonapartes entronnen« seien. In Wirklichkeit waren es die Muslime, vor denen sie sich fürchteten. Als Smith und seine Leute am Heiligen Grab beteten, waren sie die ersten fränkischen Soldaten seit 1244, die den Boden Jerusalems betraten. [140]
Sultan Selim III. überschüttete den Schlächter mit Ehrungen und ernannte ihn zum Pascha seines Heimatlandes Bosnien sowie von Ägypten und Damaskus. Nach einer kurzen kriegerischen Auseinandersetzung mit dem Pascha von Gaza gewann er die Herrschaft über Jerusalem und Palästina zurück. Sanftmütiger war er allerdings nicht geworden, denn er ließ seinem obersten Berater die Nase abschneiden, obwohl diesem bereits ein Auge und ein Ohr fehlten. Als er im Jahr 1804 starb, versank Palästina im Chaos.
Aber Napoleon und Smith hatten dafür gesorgt, dass die Levante in Mode kam. Von allen Abenteurern, die jetzt anfingen, den Osten zu bereisen und ihre Erlebnisse in erfolgreichen Büchern zu beschreiben, die den Westen faszinierten, war der einflussreichste ein französischer Vicomte, bei dessen Besuch Jerusalem von Feuersbrünsten, Unruhen und Plünderungen heimgesucht und in einem so desolaten Zustand war wie seit den Mongolen nicht mehr. [141]
35
Die neuen Romantiker: Chateaubriand und Disraeli
1806 – 1830
Der Vicomte als Ritter vom Heiligen Grab
»Jerusalem überwältigt mich«, erklärte François-René, Vicomte de Chateaubriand, auch wenn diese »gottesmörderische Stadt« eine »Müllhalde« mit »einem Durcheinander von Grabmonumenten mitten in der Wüste« sei. Dem katholischen Royalisten mit der wilden Mähne gefiel der romantische Blick auf ein heruntergekommenes düsteres Jerusalem, das darauf wartete, durch den »Geist des Christentums« erlöst zu werden. Für ihn war die Stadt umso heiliger und poetischer, je schlechter es ihr ging – und gerade jetzt ging es ihr miserabel.
Aufständische Paschas und rebellische Horden palästinischer Bauernkrieger nahmen wiederholte Male ein gottverlassenes Jerusalem ein, das dann alle Jahre wieder von den Gouverneuren von Damaskus mit ihren Truppen erstürmt werden musste, die die Stadt als erobertes feindliches Territorium ansahen. Der Vicomte stellte bei seiner Ankunft fest, dass der Gouverneur von Damaskus seine Zelte vor dem Jaffator aufgeschlagen hatte, während seine 3000 Soldaten den Einwohnern der Stadt das Leben schwermachten. Als Chateaubriand sein Quartier im Erlöserkloster beziehen wollte, stieß er dort auf die Raufbolde, die bei den Klosterbrüdern Geld zu erbeuten hofften. Forsch schritt er, mit mehreren Pistolen bewaffnet, durch die
Weitere Kostenlose Bücher