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Jerusalem: Die Biographie (German Edition)

Jerusalem: Die Biographie (German Edition)

Titel: Jerusalem: Die Biographie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Sebag Montefiore
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Straßen, aber im Kloster überraschte ihn einer der Kerle und versuchte ihn zu töten: Er kam nur mit dem Leben davon, weil er den Türken fast erdrosselte. In den Straßen begegnete ihnen keine Menschenseele, »welches Elend, welche Verzweiflung, denn die meisten Einwohner sind in die Berge geflüchtet. Die Läden sind geschlossen, die Leute verstecken sich in den Kellern oder ergreifen die Flucht.« Als der Pascha abzog, blieben nur eine Handvoll Männer in der Davidszitadelle zurück, und in der Stadt wurde es noch gespenstischer: »Man hört nichts außer dem Hufgetrappel eines Pferdes in der Wüste – es ist ein Janitschar, der den Kopf eines Beduinen bringt oder von einem Raubzug unter den unglücklichen Bauern zurückkehrt.«
    Jetzt hatte der Franzose Gelegenheit, in den heiligen Mysterien verwahrloster Tempel zu schwelgen. Aber der eingeschworene Genießer, der einem nach seinem Rezept bereiteten Steak seinen Namen verliehen hat, schwelgte auch in den Köstlichkeiten, die beim gemeinsamen Festmahl mit seinen bekanntermaßen gut genährten franziskanischen Gastgebern aufgetragen wurden: »Linsensuppe, Kalbfleisch mit Gurken und Zwiebeln, gebackenes Zicklein mit Reis, Tauben, Rebhühner, Wild, ausgezeichnete Weine.« Bis an die Zähne bewaffnet zog er auf den Spuren Jesu durch die Stadt und machte abfällige Bemerkungen über osmanische Prachtbauten (»keinen Blick wert«) und über die Juden, die »mit Lumpen behängt im Staube Zions liegen mit dem Gewürm, das sie verschlungen hat«.
    In der Grabeskirche betete er, den Blick starr auf das steinerne Grab Jesu gerichtet und benommen vom Weihrauch, von den Schlägen der äthiopischen Zimbeln und den Gesängen der Griechen, bevor er an den Gräbern von Gottfried und Balduin niederkniete, jenen französischen Kreuzfahrern, die den Islam besiegt hatten, »eine jeder Zivilisation feindliche Religion, die der Unwissenheit, dem Despotentum und der Sklaverei systematisch Vorschub leistet«.
    Die Franziskaner verliehen Chateaubriand in einer feierlichen Zeremonie den Orden vom Heiligen Grab. Als sie im Kreis um den knienden Vicomte herumstanden, ihm Gottfrieds Sporen anlegten und ihn mit dem Schwert des Kreuzfahrers zum Ritter schlugen, empfand er eine fast ekstatische Freude:
Wenn man bedenkt, dass ich in Jerusalem war, in der Kalvarienkirche, nur ein Dutzend Schritte vom Grab Christi und nur dreißig Schritte von dem Gottfrieds entfernt, dass mir die Sporen des Befreiers des Heiligen Grabes angelegt wurden und ich dieses lange und breite Schwert berühren durfte, das ein so edler und tapferer Arm einst geschwungen hat, so konnte ich nicht unberührt bleiben. [142]
    Am 12. Oktober 1808 fingen die Kleider eines armenischen Kirchendieners, der neben dem Ofen auf der armenischen Empore der Grabeskirche eingeschlafen war, Feuer, und der Mann verbrannte, während sich die Flammen im Gebäude ausbreiteten. Das Grab Christi wurde zerstört. In den nachfolgenden Wirren baten die Christen den Mufti Hassan al-Husseini, seine Männer im Hof der Kirche Quartier beziehen zu lassen, um Plünderer fernzuhalten. England und Österreich bemühten sich, den scheinbar unbesiegbaren Napoleon in Schach zu halten, damit die Griechen ihren Hoheitsanspruch über die Kirche mit Unterstützung der Russen festigen konnten. Sie errichteten über dem Heiligen Grab die Ädikula im Rokokostil, die heute noch steht, und sie feierten ihren Sieg, indem sie die Grabstätten der Kreuzfahrerkönige kurz und klein schlugen: Chateaubriand, der inzwischen nach Frankreich zurückgekehrt war, war der letzte Fremde, der sie zu sehen bekommen hatte. [185]
    Eine Horde aufgebrachter Muslime griff die Arbeiter an, die mit dem Wiederaufbau der Kirche beschäftigt waren, in der Garnison kam es zur Meuterei, und der Nachfolger und Schwiegersohn des Schlächters, Suleiman Pascha – auch bekannt als der Gerechte (wobei nach seinem Vorgänger vermutlich jeder als mildtätig gegolten hätte) –, nahm die Stadt ein: 46 Aufständische wurden hingerichtet und ihre Köpfe an den Stadttoren aufgespießt. [143]
    Während das reale Jerusalem immer mehr verfiel, erfüllten Phantasien von Jerusalem die Träume der Europäer, beflügelt von Napoleons schmutzigem kleinem Feldzug nach Ägypten, dem Niedergang des Osmanischen Reichs – und dem Buch, das Chateaubriand nach seiner Rückkehr in die Heimat schrieb. Sein Tagebuch der Reise von Paris nach Jerusalem (Itinéraire de Paris à Jérusalem) prägte das Bild der Europäer vom

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