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Jerusalem: Die Biographie (German Edition)

Jerusalem: Die Biographie (German Edition)

Titel: Jerusalem: Die Biographie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Sebag Montefiore
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bevorstehenden Weltuntergang und die Heimkehr der Juden hier zu erleben. Der Sohn wohlhabender Quäker und Inhaber eines landwirtschaftlichen Betriebes in Philadelphia war 20 Jahre lang von einer Weltuntergangsbewegung zur nächsten übergewechselt. Nachdem er sein erstes Manifest unter dem Titel Jerusalem, Center of the Joy of the Whole World , geschrieben und Frau und sechs Kinder verlassen hatte, überredete er den Außenminister John Calhoun, ihn als Konsul nach Jerusalem zu entsenden: »Ich habe alles zurückgelassen, was mir lieb und teuer ist, um den Weg der Wahrheit zu gehen.« Zwar wurde US-Präsident John Tyler darüber unterrichtet, dass sein erster Konsul in Jerusalem ein »religiöser Fanatiker und Irrer« sei, aber zu diesem Zeitpunkt war Cresson schon in Jerusalem. Und er war mit seiner Weltuntergangserwartung nicht allein: Er war ein typischer Amerikaner seiner Zeit.
    Die laizistische US-amerikanische Verfassung trennt streng zwischen Staat und Religion, doch auf dem Staatssiegel hatten die Gründerväter Thomas Jefferson und Benjamin Franklin die Kinder Israels abbilden lassen, wie sie von einer flammenden Wolke ins Gelobte Land geführt werden. Cresson war der Inbegriff jener Amerikaner, die der flammenden Wolke tatsächlich nach Jerusalem folgten. Die Trennung von Staat und Kirche wirkte sich in den Vereinigten Staaten befreiend auf die religiöse Praxis aus, und immer neue sektiererische Glaubensgemeinschaften und Prophezeiungen zum Tausendjährigen Reich fanden Verbreitung.
    Die ersten Siedler, noch beseelt von der Begeisterung der englischen Puritaner für alles Hebräische, hatten ein großes Wiedererwachen der religiösen Freude erlebt. Nun, in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts begünstigte der evangelikale Eifer der Pioniere eine zweite Erweckung. Waren 1776 zehn Prozent der US-Bürger regelmäßig zur Kirche gegangen, so war dies 1815 schon ein Drittel und 1914 die Hälfte der Bevölkerung. Ihr Protestantismus war durch und durch amerikanisch – eifernd, überschwänglich und polternd. In seinem Brennpunkt stand die Überzeugung, dass ein Mensch durch rechtschaffenes Handeln und ehrliche Gottesfreude sich selbst retten und das Zweite Kommen beschleunigen könne. Ganz Amerika war eine Mission unter dem Deckmantel einer gottgesegneten Nation, ganz so, wie Shaftesbury und die englischen Evangelikalen das britische Kolonialreich sahen.
    In den kleinen Holzkirchen trostloser Goldgräbernester, auf einsamen Gehöften in der endlosen Prärie und in den glitzernden neuen Industriestädten verbreiteten die Prediger in ihrem neuen Gelobten Land Amerika die biblischen Offenbarungen des Alten Testaments. »In keinem anderen Land«, schrieb Edward Robinson, evangelikaler Wissenschaftler und Begründer der biblischen Archäologie in Jerusalem, »ist die Heilige Schrift so bekannt wie hier.« Die ersten amerikanischen Missionare glaubten in den Ureinwohnern des Kontinents die Verlorenen Stämme Israels gefunden zu haben und sahen es als Pflicht jedes Christen an, in Jerusalem Gutes zu tun und sich für die Rückkehr und Wiederansiedlung der Juden einzusetzen: »Ich wünsche den Juden von Herzen eine unabhängige Nation in Judäa«, schrieb der zweite Präsident der Vereinigten Staaten John Adams. Zwei junge Bostoner Missionare schickten sich 1819 an, solche Träume in die Tat umzusetzen: »Alle Blicke sind auf Jerusalem gerichtet«, verkündete Levi Parsons in seiner Abschiedspredigt, »den wahren Mittelpunkt der Welt.« Den versammelten Gläubigen traten die Tränen in die Augen, als Pliny Fisk verkündete: »Im tiefsten Innern mit Jerusalem verbunden breche ich auf.« Sie schafften es nach Jerusalem, fanden dort aber wenig später den Tod. Von ihrem traurigen Schicksal ließen sich andere keineswegs entmutigen, denn Jerusalem, so erklärte William Thomas, der Missionar, dessen Frau 1834 während des Aufstands in Jerusalem im Kindbett sterben sollte, »ist das Gemeineigentum der ganzen christlichen Welt«.
    Konsul Cresson hatte sich von der Welle der prophetischen Schwärmereien tragen lassen, er war Shaker, Adventist, Mormone und Evangelikaler gewesen, bevor er in Pennsylvania einen Rabbi kennenlernte, der ihn überzeugen konnte, dass die »Erlösung mit der Rückkehr der Juden und dem darauffolgenden zweiten Kommen Christi« zu erwarten sei. [195] Zu den ersten, die als Missionare nach Jerusalem kamen, gehörte Harriet Livermore, deren Vater und Großvater Kongressabgeordnete in Neuengland waren.

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