Jerusalem: Die Biographie (German Edition)
grundsätzlich falsch seien. Es war eine Stunde des Triumphes für Montefiore – aber er verdankte seinen Erfolg ebenso seiner Nationalität wie seiner manchmal doch etwas schwerfälligen Diplomatie. Man hatte es gut, wenn man in diesen Tagen ein Engländer im Nahen Osten war.
Das Bestehen des Osmanischen Reiches hing zu dieser Zeit an einem seidenen Faden, und Mehmed Ali wie der Sultan buhlten um die Gunst der Briten. Ibrahim hatte in Jerusalem nach wie vor das Ruder in der Hand und beherrschte überdies weite Teile des Nahen Ostens. Während Frankreich die Albaner unterstützte, bemühten sich die Briten einerseits, deren Machtansprüche zu berücksichtigen, andererseits aber auch die Osmanen nicht zu verprellen. Sie boten Mehmed Ali Palästina und Ägypten an, falls Ibrahim bereit sei, sich aus Syrien zurückzuziehen. Es war ein reizvolles Angebot, doch Mehmed Ali und Ibrahim hatten ihr Auge auf den Hauptgewinn geworfen: Istanbul. Also wiesen sie den Vorschlag der Briten zurück, woraufhin Palmerston eine Koalition aus Briten, Österreichern und Osmanen zustande brachte, seine Kanonenboote unter dem Kommando von Admiral Charles Napier losschickte und Ibrahims Truppen unter Beschuss nahm. Angesichts der britischen Übermacht gab Ibrahim klein bei.
Ibrahim der Rote hatte den Europäern Jerusalem geöffnet und das Gesicht der Stadt damit für immer verändert, doch nun verzichtete er zugunsten der Anerkennung als erblicher König in Ägypten auf Syrien und Jerusalem. [194] Gedemütigt durch Palmerstons Erfolg unterbreiteten die Franzosen als ersten Schritt hin zu einem weltoffenen Zion den Vorschlag einer »freien christlichen Stadt Jerusalem«, doch im Oktober 1840 marschierten die Truppen des Sultans wieder in der Stadt ein. Das innerhalb der Befestigungsmauern liegende Stadtgebiet von Jerusalem bestand zu einem Drittel aus dicht mit Feigenkakteen bewachsenem Brachland. Die Stadt hatte nur 13 000 Bewohner, unter denen aber dank der Zuwanderung von Immigranten aus Russland und von Flüchtlingen aus dem von einem Erdbeben erschütterten Gebiet um Safed in Galiläa, 5000 Juden waren
Selbst als Palmerston sein Amt an Lord Aberdeen abtreten musste, der den Vizekonsul anwies, von jeglichen evangelikalen Plänen hinsichtlich der Juden abzusehen, setzte Young seine Bemühungen unbeirrt fort. Fünf Jahre später, als Palmerston, nunmehr auf dem Posten des Außenministers, wieder über politischen Einfluss verfügte, bat er den Konsul in Jerusalem, »allen russischen Juden, die sich an Sie wenden, britischen Schutz« zuzusichern.
Inzwischen hatte Shaftesbury den britischen Premierminister überredet, sich für die Errichtung des ersten anglikanischen Bistums in Jerusalem einzusetzen. Zusammen mit den Preußen (deren König die Idee eines christlichen internationalen Jerusalem aufgebracht hatte) bestimmten die Briten 1841 den ursprünglich jüdischen, aber später konvertierten Professor Michael Salomo Alexander zum ersten anglikanischen Bischof von Jerusalem – auch Deutschland erlebte seine evangelikale Erweckung. Die Missionierungsversuche der Briten wurden immer offensiver. Anlässlich der Einweihung der anglikanischen Christuskirche unweit des Jaffatores wurden 1841 drei Juden in Anwesenheit von Konsul Young getauft. Das Leben, das die Juden in Jerusalem führten, war zum Erbarmen, sie »leben wie Fliegen in einem Totenschädel«, wie der amerikanische Schriftsteller Herman Melville bemerkte. Die größer werdende jüdische Gemeinde lebte in fast schon theatralisch anmutender Armut, aber ihre Mitglieder hatten Zugang zur kostenlosen medizinischen Versorgung durch Ärzte, die von der Londoner Judengesellschaft bezahlt wurden. Für manche war das ein Grund zum Konvertieren.
Jerusalem verwandelte sich über Nacht von einer finsteren Ruine, regiert von einem heruntergekommenen Pascha in seinem schwülstigen Serail, in eine Stadt, in der es von goldgegürteten und schmuckbehangenen Würdenträgern nur so wimmelte. Seit dem 13. Jahrhundert hatte es in Jerusalem keinen Lateinischen Patriarchen mehr gegeben, und der orthodoxe Patriarch residierte seit geraumer Zeit in Istanbul, doch jetzt wurde ihre Rückkehr nach Jerusalem von Frankreich und Russland gefördert. Aber vor allem die sieben europäischen Konsuln, aufgeblasene untergeordnete Beamte als Vertreter der kolonialistischen Ambitionen ihrer Heimatländer, konnten kaum an sich halten vor maßloser Selbstherrlichkeit. Eskortiert von kraftstrotzenden, Kawassen
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