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Jerusalem: Die Biographie (German Edition)

Jerusalem: Die Biographie (German Edition)

Titel: Jerusalem: Die Biographie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Sebag Montefiore
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Korsett, das die Brust fein modellierte«, vor dem Davidsturm für den Fotografen posierten. Die Russen waren ebenso überwältigt wie schockiert.
    Die rasch wachsende neue Stadt war architektonisch so eklektisch, dass es heute in Jerusalem Häuser und ganze Siedlungen gibt, die aussehen, als würden sie überhaupt nicht in den Nahen Osten gehören. Zu den christlichen Bauten, die gegen Ende des Jahrhunderts entstanden, gehörten 27 französische, zehn italienische und acht russische Klostergebäude. [213] Nachdem Großbritannien und Preußen ihr Projekt eines gemeinsamen anglikanischen Bistums aufgegeben hatten, bauten die Briten ihre eigene, sehr englisch anmutende St.-Georgs-Kathedrale als Sitz des anglikanischen Bischofs. Aber auch die Osmanen führten 1892 noch ihre eigenen Bauprojekte durch: Abdülhamid ließ eine Reihe neuer Brunnen bauen sowie das Neue Tor, das einen direkten Zugang zum christlichen Viertel der Altstadt schuf. Und anlässlich des 25-jährigen Jubiläums seiner Regentschaft bescherte er dem Jaffator einen neuen Glockenturm, der aussah, als gehöre er eigentlich zu einem englischen Vorstadtbahnhof.
    Unterdessen besiedelten Juden und Araber, Griechen und Deutsche die Neustadt außerhalb der Stadtmauern. 1869 gründeten sieben jüdische Familien Nahalat Shiva – das Viertel der Sieben – vor dem Jaffator, 1874 ließen sich ultraorthodoxe Juden in Mea Shearim nieder, das heute ein chassidisches Viertel ist. Bis 1880 war die jüdische Bevölkerung auf 17 000 angewachsen. Die Juden bildeten jetzt die Mehrheit der Einwohnerschaft Jerusalems, und die außerhalb der Mauern gelegene Neustadt umfasste bereits neun jüdische Siedlungen, während die arabischen Notabelnfamilien in Sheikh Jarrah, dem neuen arabischen Viertel nördlich des Damaskustores, ihre palastartigen Wohnhäuser bauten. [214] Die Decken der arabischen Herrenhäuser waren in einem ornamentalen europäisch-türkischen Stilgemisch ausgearbeitet. Einer der Husseinis baute das Orienthaus mit einem Vestibül, dessen Decke und Wände mit floralen und geometrischen Mustern bemalt waren, während ein anderes Mitglied der Familie, Rabah Effendi Husseini, einen hochherrschaftlichen Familiensitz errichten ließ, dessen Prunkstück der Paschasaal mit himmelblau bemalter und mit Laubwerk verzierter Kuppeldecke war. Das Orienthaus wurde später als Hotel genutzt und war in den 1990er Jahren der Jerusalemer Sitz der Palästinensischen Autonomiebehörde; Rabah Husseinis Herrenhaus wurde zum Heim der berühmtesten amerikanischen Familie in Jerusalem.
    Die amerikanischen Overcomers: die Milch warm halten für Jesus
    Am 21. November 1873 befand sich Anna Spafford mit ihren vier Töchtern an Bord der Ville de Havre auf dem Atlantik, als ihr Dampfer von einem anderen Schiff gerammt wurde. Das Schiff sank und die vier Kinder ertranken, nur Anna selbst wurde gerettet. Als sie nach ihrer Rettung erfuhr, dass ihre Töchter tot waren, wollte sie sich ins Meer stürzen. Stattdessen schickte sie ihrem Mann Horatio, einem wohlhabenden Chicagoer Anwalt, ein bewegendes Telegramm: »NUR ICH GERETTET. WAS SOLL ICH TUN?« Sie taten gemeinsam etwas: Sie brachen ihre gutbürgerlichen Zelte ab und begannen ein neues Leben in Jerusalem. Anfangs schienen sie weiterhin vom Unglück verfolgt: Ihr Sohn starb an Scharlach, so dass ihnen von sechs Kindern nur eines blieb, Bertha. Anna Spafford glaubte daran, dass »ihr Überleben einen Sinn« hatte, aber die beiden waren auch empört über ihre presbyterianische Gemeinde, die das Unglück der Familie als Gottess trafe betrachtete. So gründeten sie ihre eigene evangelikale Glaubensgemeinschaft, von der amerikanischen Presse Overcomers, Überwinder, genannt, die es sich zum Ziel setzte, durch wohltätiges Wirken und die Bekehrung der Juden zum Christentum das zweite Kommen Christi zu beschleunigen.
    1881 bezogen die Overcomers, 14 Erwachsene und drei Kinder, die zur Keimzelle der amerikanischen Kolonie wurden, ein großes Haus, das innerhalb der Stadtmauer am Damaskustor gelegen war. Als sich aber 1896 eine Gruppe schwedischer Bauern nach einem Erweckungserlebnis zu ihnen gesellte, benötigten sie ein größeres Haus. Also mieteten sie Rabah Husseinis Familiensitz in Sheikh Jarrah an der Straße nach Nablus. Horatio starb 1888, doch die Gemeinde der Overcomers wuchs und gedieh und widmete sich mit Eifer ihren Aufgaben: Sie verkündete das zweite Kommen, versuchte die jüdischen Bewohner der Stadt zu missionieren und machte aus

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