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Jerusalem: Die Biographie (German Edition)

Jerusalem: Die Biographie (German Edition)

Titel: Jerusalem: Die Biographie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Sebag Montefiore
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beeindruckt von Jerusalem. »Du kannst dir nicht vorstellen«, schrieb Ella an ihre Großmutter Viktoria, »wie beeindruckend es ist, wenn man das Heilige Grab betritt. Es ist eine so tief empfundene Freude, hier zu sein, und meine Gedanken sind ständig bei dir.« Ella, die als Tochter des protestantischen Großherzogs von Hessen-Darmstadt geboren worden war, nahm den orthodoxen Glauben ihres Mannes mit Begeisterung an. »Wie glücklich« es sie machte, »all die heiligen Stätten zu sehen, die man von früher Kindheit an lieben lernt«. Sergei und der Kaiser hatten die Planung und Ausführung des Kirchenbaus sorgsam überwacht, und Ella persönlich hatte einen russischen Künstler mit den Wandmalereien beauftragt, die das Leben der Maria Magdalena abbildeten. »Es ist ein Traum, all die Orte zu sehen, an denen unser Herr für uns gelitten hat«, schwärmte Ella, »und ein so tiefer Trost, hier zu beten.« Und Trost konnte Ella gut gebrauchen.
    Der 31-jährige Sergei war ein Leuteschinder und Haustyrann. Ihm wurden heimliche homosexuelle Neigungen nachgesagt, die sich nicht mit seinen autokratischen Ansprüchen und seinem strengen orthodoxen Glauben vertrugen. »Von keinem liebenswürdigen Zug gemildert, trug er seine Eigenheiten auf arrogante, starrsinnige und unangenehme Weise zur Schau«, sagte einer seiner Vettern über ihn. Durch seine Ehe mit Ella, deren jüngere Schwester den späteren Zaren Nikolaus II. heiraten sollte, sah er sich ins Zentrum des europäischen Hochadels gerückt.
    Noch bevor die beiden wieder aus Jerusalem abreisten, ließ Sergei alle seine Interessen – das Russische Reich, Gott und die Archäologie – in seinem neuen Projekt, dem Bau der Alexander-Newski-Kathedrale in unmittelbarer Nachbarschaft der Grabeskirche, zusammenfließen. Beim Kauf dieses Bauplatzes in Spitzenlage hatten er und seine Bauleiter Mauerreste des Hadrianstempels und der Basilika aus der Zeit Kaiser Konstantins entdeckt, die beim Bau der Kirche in die Architektur einbezogen wurden. Im russischen Viertel ließ er das Sergei-Haus, ein Luxushotel mit neugotischen Türmen für russische Aristokraten, errichten. [217] Das Leben von Sergei und Ella sollte tragisch enden; aber wenn man von den baulichen Denkmälern absieht, die im Laufe der Zeit viele tausend russische Pilger angelockt haben, ist Sergei in die Geschichte eingegangen als eifriger Verfechter des staatlich verordneten Antisemitismus, der die Juden Russlands bewegt hat, massenhaft Zuflucht im sicheren Hafen von Zion zu suchen.
    Grossfürst Sergei: russische Juden und die Pogrome
    Alexander III. ernannte Sergei Alexandrowitsch 1891 zum Generalgouverneur von Moskau. Kaum im Amt, ließ er das jüdische Viertel am ersten Abend des Passahfestes von Kosaken und Polizei umstellen und vertrieb 20 000 Juden aus der Stadt. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass man uns dafür später einmal nicht zur Rechenschaft ziehen wird«, schrieb Ella. »Sergei meint, es sei zu unserer Sicherheit. Aber ich sehe darin nichts als Schande.« [218]
    Für die russischen Juden war Jerusalem immer eine Stätte der Sehnsucht und Verehrung gewesen. Nun aber sahen sie sich angesichts der um sich greifenden Pogrome getrieben, sich entweder der revolutionären Bewegung anzuschließen – viele von ihnen sympathisierten mit den Sozialisten – oder aber die Flucht zu ergreifen. Ein gewaltiger Exodus, die erste Aliya (ein Begriff, der die Flucht an einen höheren Ort, den heiligen Berg Zion, impliziert), hatte begonnen. Zwischen 1888 und 1914 verließen zwei Millionen Juden Russland, aber für 85 Prozent von ihnen war nicht das Gelobte Land, sondern Amerika, das Land der unbegrenzten Möglichkeiten, das gewählte Ziel. Dennoch waren es Tausende, die nach Jerusalem kamen. Von den 40 000 Einwohnern der Stadt Jerusalem waren jetzt 25 000 Juden. 1882 verhängte der Sultan ein Einwanderungsverbot für Juden und ordnete an, dass ausländische Juden sich nicht länger als drei Monate in Palästina aufhalten durften. Allerdings tat er kaum etwas, um seine Anordnungen durchzusetzen. Unter der Führung Yusuf Khalidis legten die führenden arabischen Familien in Istanbul Einspruch gegen die jüdischen Zuwanderungen ein, aber es kamen immer mehr Juden.
    Seit die Schreiber der Bibel ihr Narrativ von Jerusalem geschaffen haben und seitdem diese Biographie einer Stadt zur Universalgeschichte geworden ist, wurde über deren Schicksal an anderen und fernen Orten entschieden – in Babylon oder in Susa, in Rom,

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