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Jerusalem: Die Biographie (German Edition)

Jerusalem: Die Biographie (German Edition)

Titel: Jerusalem: Die Biographie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Sebag Montefiore
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eindeutige Drohungen gegen die al-Aqsa-Moschee und den Felsendom beinhaltete. Die daraufhin ausbrechenden Unruhen eskalierten zur zweiten Intifada, die teils in Ausschreitungen mit Steinwürfen, teils in einer geplanten Kampagne von Fatah und Hamas mit Selbstmordanschlägen gegen israelische Zivilisten bestand. Hatte die erste Intifada den Palästinensern geholfen, so zerstörte die zweite das Vertrauen der Israelis in den Friedensprozess und führte zur Wahl Sharons und zu einer fatalen Spaltung der Palästinenser.
    Sharon schlug die Intifada nieder, indem er die Palästinensische Autonomiebehörde zerschlug und Arafat belagerte und demütigte. Als Arafat 2004 starb, verweigerten die Israelis die Erlaubnis, ihn auf dem Tempelberg beizusetzen. Sein Nachfolger Mahmoud Abbas verlor bei den Wahlen 2006 gegen die Hamas. Nach kurzen Konflikten übernahm die Hamas die Macht im Gazastreifen, während Abbas’ Fatah weiter das Westjordanland regierte. Sharon baute eine Sperrmauer durch Jerusalem, ein deprimierend hässliches Betongebilde, das allerdings die Selbstmordanschläge erfolgreich eindämmte.
    Die Saat des Friedens fiel nicht nur auf steinigen Boden, sondern vergiftete ihn auch; der Frieden diskreditierte seine Macher. Jerusalem lebt heute in einem schizophrenen Angstzustand. Juden und Araber wagen sich nicht in die Wohngebiete des Gegners; säkulare Juden meiden die Ultraorthodoxen, die sie mit Steinen bewerfen, wenn sie die Sabbatruhe nicht einhalten oder ungehörige Kleidung tragen; messianische Juden stellen die Entschlossenheit der Polizei auf die Probe und schüren muslimische Ängste, indem sie versuchen, auf dem Tempelberg zu beten; und die christlichen Religionsgemeinschaften befehden sich nach wie vor. Die Mienen der Jerusalemer sind angespannt, ihre Stimmen wütend, und bei allen, selbst bei solchen in allen drei Religionen, die meinen, einen göttlichen Plan zu erfüllen, ist die Unsicherheit spürbar, was das Morgen bringen wird.
    Morgen
    Mehr als irgendwo sonst auf der Welt ersehnen, erhoffen und suchen wir hier in Jerusalem nach einem Tropfen heilsamer Toleranz, Gemeinsamkeit und Großzügigkeit als Mittel gegen das Gift der Vorurteile, der Ausschließlichkeits- und der Besitzansprüche. Das ist nicht immer leicht zu finden. Seit zweitausend Jahren war Jerusalem nicht mehr so groß, so gut instand gesetzt und auch nicht so überwiegend jüdisch geprägt wie heute. Aber es ist auch die bevölkerungsreichste palästinensische Stadt. [281] Gelegentlich wird das jüdische Gepräge Jerusalems als aufgesetzt und unpassend hingestellt, aber das verzerrt die Vergangenheit und Gegenwart der Stadt.
    Jerusalems Geschichte ist eine Chronik von Siedlern, Kolonisten und Pilgern – Arabern, Juden und vielen anderen – an einem Ort, der viele Male gewachsen und wieder geschrumpft ist. In über tausend Jahren islamischer Herrschaft wurde Jerusalem mehrfach von islamischen Siedlern, Gelehrten, Sufis und Pilgern bevölkert, die Araber, Türken, Inder, Sudanesen, Iraner, Kurden, Irakis und Maghrebiner waren, aber auch von christlichen Armeniern, Serben, Georgiern und Russen – die sich nicht sonderlich von den sephardischen und russischen Juden unterschieden, die sich später aus ähnlichen Gründen hier niederließen. Dieser Charakter brachte Lawrence von Arabien zu der Einschätzung, dass Jerusalem eher eine levantinische als eine arabische Stadt sei, und eben das ist ein wesentliches Merkmal Jerusalems.
    Häufig gerät in Vergessenheit, dass sämtliche Stadtteile Jerusalems außerhalb der Stadtmauern zwischen 1860 und 1948 entstanden sind, erbaut von Arabern, Juden und Europäern. Die arabischen Viertel sind nicht älter als die jüdischen und besitzen nicht mehr und nicht weniger Legitimität.
    Sowohl Muslime als auch Juden haben unbestreitbare historische Ansprüche. Juden haben diese Stadt seit 3000 Jahren bewohnt und verehrt und besitzen das gleiche Recht wie Araber, in Jerusalem zu leben und sich dort anzusiedeln. Aber zuweilen wird selbst die harmloseste Restaurierung als illegitim dargestellt: Als die Israelis 2010 endlich die restaurierte Hurva-Synagoge im jüdischen Viertel einweihten, die die Jordanier 1948 abgerissen hatten, löste dies Medienkritik in Europa und kleinere Unruhen in Ostjerusalem aus.
    Etwas völlig anderes ist es jedoch, wenn man ortsansässige Araber mit Zwang und Schikanen verdrängt und ihr Eigentum mit fragwürdigen Rechtsentscheidungen enteignet, um Platz zu schaffen für neue

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