Jerusalem: Die Biographie (German Edition)
Seiten eine mangelnde Bereitschaft erkennen, die nötigen Kompromisse zu schließen, um sich Jerusalem dauerhaft zu teilen. Himmlisches, Nationales und Emotionales in Jerusalem in Einklang zu bringen hat schon zu den besten Zeiten Ähnlichkeit mit einem Puzzle, das es in einem Labyrinth zusammenzufügen gilt: Im Laufe des 20. Jahrhunderts gab es mehr als vierzig Pläne für Jerusalem, die allesamt scheiterten, und gegenwärtig bestehen mindestens 13 verschiedene Modelle allein für die gemeinsame Nutzung des Tempelbergs.
Im Jahr 2010 zwang Präsident Obama Ministerpräsident Netanyahu, der in einer Koalition mit Barak wieder an der Regierung war, den Siedlungsbau in Jerusalem vorübergehend zu stoppen. Um den Preis des bittersten Moments in den amerikanisch-israelischen Beziehungen brachte Obama die beiden Seiten zumindest wieder dazu, Gespräche zu führen, wenn auch nur für kurze Zeit und in frostiger Atmosphäre.
Israel hat sich oft diplomatisch unnachgiebig gezeigt und seine eigene Sicherheit und seinen Ruf durch den Siedlungsbau aufs Spiel gesetzt, aber die Siedlungen sind verhandelbar. Auf der anderen Seite gibt es ebenso grundlegende Probleme. Unter Rabin, Barak und Olmert hat Israel angeboten, Jerusalem einschließlich der Altstadt mit den Palästinensern zu teilen. Trotz zur Verzweiflung treibender Verhandlungen in den annähernd zwanzig Jahren seit 1993 haben die Palästinenser nie offiziell eingewilligt, sich die Stadt mit Israel zu teilen; es gibt allerdings Hoffnung: Insgeheim und informell erklärten sie sich 2007/2008 dazu bereit. Aber wenn eine Seite ihr flexibelstes Angebot machte und die Verhandlungspositionen sich am nächsten waren, kam es jeweils für die andere Seite zum falschen Zeitpunkt. Und als Dokumente über ein solches Angebot der Palästinenser nach außen sickerten, wurden auf arabischer Seite wilde Verratsvorwürfe laut.
Der gegenwärtige Status Jerusalems kann noch jahrzehntelang weiterbestehen, aber wenn und falls es je zu einem Friedensvertrag kommt, wird es zwei Staaten geben, was wesentlich ist für das Überleben Israels als Staat und Demokratie wie auch für Gerechtigkeit und Respekt gegenüber den Palästinensern. Der Zuschnitt des palästinensischen Staates und eines geteilten Jerusalem ist beiden Seiten bekannt. »Jerusalem wird die Hauptstadt beider Staaten sein, arabische Stadtteile werden palästinensisch, jüdische Stadtteile israelisch sein«, sagte der israelische Präsident Shimon Peres, der Architekt der Oslo-Abkommen, der das Bild besser kennt als jeder andere. Die Israelis werden nach den von Clinton erarbeiten Parametern ihr gutes Dutzend Siedlungen in Ostjerusalem bekommen, müssen dafür aber die Palästinenser mit israelischem Land an anderer Stelle entschädigen und einen Großteil der israelischen Siedlungen im Westjordanland räumen. So weit, so einfach; »aber das Problem ist die Altstadt«, erklärt Peres. »Wir müssen unterscheiden zwischen staatlicher Hoheit und Religion. Alle werden ihre eigenen Heiligtümer verwalten, aber man kann die Altstadt wohl kaum in Stücke schneiden.«
Die Altstadt würde zu einer entmilitarisierten Vatikanstadt unter internationaler Verwaltung, die polizeilich gemeinsamen arabisch-israelischen Patrouillen oder internationalen Treuhändern unterstellt wäre, vielleicht sogar einer Jerusalemer Variante der Schweizer Garde. Da die Araber die Amerikaner vielleicht nicht akzeptieren würden und die Israelis den Vereinten Nationen und der Europäischen Union misstrauen, könnte diese Aufgabe möglicherweise die NATO gemeinsam mit Russland übernehmen, das wieder an einer Mitwirkung in Jerusalem interessiert ist. [283] Den eigentlichen Tempelberg zu internationalisieren ist schwierig, weil kein israelischer Politiker es überleben würde, den Anspruch auf den Grundstein des Tempels völlig aufzugeben, und kein islamischer Machthaber es überleben würde, Israel die uneingeschränkte staatliche Hoheit über das Edle Heiligtum zu überlassen. Zudem haben internationale oder freie Städte von Danzig bis Triest gewöhnlich kein gutes Ende genommen.
Der Tempelberg lässt sich schwer teilen. Haram, Kotel, Felsendom, al-Aqsa-Moschee und Westmauer sind Teil desselben Baukomplexes: »Niemand kann Heiligkeit monopolisieren«, erklärte Peres. »Jerusalem ähnelt mehr einer Flamme als einer Stadt, und niemand kann eine Flamme teilen.« Flamme oder nicht, jemand muss die staatliche Hoheit haben, daher sehen die verschiedenen Pläne vor,
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