Jerusalem: Die Biographie (German Edition)
Als einige israelische Radikale versuchten, aufwärts Richtung Tempelberg zu graben, betonierte die islamische Leitung des Waqf das Loch umgehend zu. Gerüchte kamen auf, die Tunnel seien ein Versuch, das islamische Heiligtum zu unterminieren, und es kam zu Unruhen mit 75 Toten und 1500 Verletzten, was belegt, dass Archäologie in Jerusalem etwas ist, wofür Menschen zu sterben bereit sind. Aber nicht nur die Archäologie wurde politisiert, auch die Geschichte erlangte übergroße Bedeutung. So verbot die PLO palästinensischen Historikern, zuzugeben, dass es je einen jüdischen Tempel in Jerusalem gegeben habe – diese Anordnung kam von Arafat persönlich. Er war zwar ein säkularer Guerillaführer, aber wie bei den Israelis war auch bei den Palästinensern die Darstellung der säkularen nationalen Geschichte religiös untermauert. Arafat hatte 1948 mit der Muslimischen Bruderschaft gekämpft – ihre Truppen nannten sich Al-Jihad al-Muqadas, Heiliger Krieg Jerusalem – und knüpfte an die Bedeutung der Stadt für den Islam an: Den bewaffneten Flügel der Fatah nannte er Aqsa-Märtyrerbrigade. Arafats Mitarbeiter räumten ein, dass Jerusalem seine »persönliche Passion« war. Er identifizierte sich mit Saladin und Omar dem Großen und leugnete jegliche Verbindung der Juden zu Jerusalem. »Je stärker der jüdische Druck auf den Tempelberg, umso stärker werden der Erste und Zweite Tempel geleugnet«, erklärt der palästinensische Historiker Dr. Nazmi Jubeh.
In der angespannten Lage nach den Tunnelunruhen und angesichts kursierender Gerüchte über Pläne, in den Ställen Salomos eine Synagoge einzurichten, erlaubten die Israelis dem Waqf, also der Stiftung, die den Tempelberg verwaltete, die alten Hallen unter der al-Aqsa-Moschee freizulegen, mit Baggern eine Treppe anzulegen und in den Gewölben des Herodes eine unterirdische Moschee, Marwan, zu bauen. Der Bauschutt wurde einfach entsorgt. Israelische Archäologen waren entsetzt, dass die heikelste Stätte der Welt mit schwerem Gerät ausgebaggert wurde: Im Kampf der Religionen und der Politik war die Archäologie der Verlierer. [280]
Noch hatten die Israelis den Glauben an den Frieden nicht ganz verloren. Präsident Clinton brachte im Juli 2000 den neuen israelischen Ministerpräsidenten Ehud Barak und Arafat in Camp David zusammen. Kühn bot Barak ein »endgültiges« Abkommen an: 91 Prozent des Westjordanlands mit Abu Dis als palästinensischer Hauptstadt und sämtliche arabischen Stadtteile Ostjerusalems. Die Altstadt sollte israelisches Hoheitsgebiet bleiben, aber das muslimische und christliche Viertel sowie der Tempelberg der »souveränen Verwaltung« der Palästinenser unterstellt werden. Das Erdreich und die Tunnel unter dem Heiligtum – vor allem der Grundstein des Tempels – sollten israelisch bleiben, und erstmals sollten Juden wieder in begrenzter Zahl irgendwo auf dem Tempelberg beten dürfen. Die Altstadt sollte durch gemeinsame Patrouillen gesichert, aber entmilitarisiert und allen zugänglich gemacht werden. Obwohl Arafat bereits die Hälfte der Altstadtviertel angeboten wurde, verlangte er auch das armenische Viertel. Israel willigte ein und bot damit praktisch drei Viertel der Altstadt an. Trotz Drängens von Saudi-Arabien, das Angebot anzunehmen, hatte Arafat den Eindruck, weder eine endgültige Regelung über das Rückkehrrecht der Palästinenser aushandeln noch einer israelischen Oberhoheit über den Felsendom zustimmen zu können, der dem gesamten Islam gehöre.
»Wollen Sie auf meine Beerdigung kommen?«, fragte er Clinton aufgebracht. »Ich werde Jerusalem und die Heiligen Stätten nicht preisgeben«. Seine Ablehnung war allerdings erheblich grundlegender: Während der Gespräche schockierte er Amerikaner und Israelis mit der nachdrücklichen Erklärung, der jüdische Tempel habe nie in Jerusalem gestanden, sondern nur auf dem Berg Gerizim in Samaria. Die Heiligkeit der Stadt für Juden sei eine moderne Erfindung. Bei späteren Gesprächen in den letzten Wochen der Präsidentschaft Clintons bot Israel Arafat die volle Souveränität über den Tempelberg an und wollte lediglich eine symbolische Verbindung zum Allerheiligsten darunter behalten, aber er lehnte ab.
Am 28. September 2000 verschärfte Sharon, der Führer des oppositionellen Likud-Blocks, Baraks Probleme noch, indem er großspurig unter dem Schutz einer Phalanx israelischer Polizisten auf den Tempelberg stolzierte und eine »Friedensbotschaft« verkündete, die
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