Jerusalem
erkannten die Seldschuken die neue Gefahr und zogen sich etliche Dutzend Galoppsprünge weit zurück. Abgeworfene Reiter hetzten hin und her und fingen die Pferde ein.
Im Tal hallten ohrenbetäubendes Geschrei und Lärm, von den Hügel erschollen tosende Echos. In dem Augenblick, an dem Berengers Reiter mit gezogenen Schwertern und Kampfäxten auf eine Schar Bogenschützen eindrangen, hatten die bedrängten Verteidiger erkannt, dass ihre Hilferufe das Heer Gottfrieds erreicht hatten. Vereinzelt erhob sich triumphierendes Geschrei. Und mit jedem Atemzug kamen mehr waffenstarrende Reiter hinter ihren Fahnen zwischen den Hügeln hervor und stürzten sich in die Schlacht.
Rutgar hatte während des Anritts die unübersehbar große, durcheinander wirbelnde Menge der Reiter und die dichten Schauer der Pfeile gesehen. In seinem Herzen verknäuelten sich Wut und Angst, Bereitschaft zur Gegenwehr und zum Töten und die Sorge um Chersala, die Hoffnung, die nächste Stunde zu überleben, und das Gefühl, als würden sich die Muskeln seiner Arme spannen und ihre Kraft verdoppeln, als wäre er unverwundbar und die Überzeugung, keiner könne ihn sehen. Er ritt geradeaus weiter, das Schwert schlagbereit in der Rechten, so gut wie möglich durch den Schild gedeckt, fest im Sattel und vornübergebeugt. Von der gleißenden Spitze des frisch geschliffenen Schwertes über den Griff, seine Hand, den Ellbogen und das Schultergelenk verwandelten sich das Metall und das Fleisch und die Knochen in eine selbstständige Einheit, die zwar seinem Willen gehorchte, deren Kraft aber nicht aus seinem Körper zu stammen schien.
Sein Rappe sprang in Galopp, fast ohne Zügelhilfe, in einer Zickzacklinie durch die Gruppe der seldschukischen Reiter. Das Schwert hob und senkte sich; Rutgar glaubte, das Pfeifen der Klinge durch die Luft hören zu können. Tief in seinem Inneren strömte ein heißer Strahl in seine Arme, seine Hände, seine Muskeln; blitzschnell hob und senkte sich die Waffe, schneller und machtvoller, als er je geahnt hatte. Die Klinge knirschte und schnitt in weiches Fleisch, spaltete das Metall von Helmen, schlug breite Ecken aus Rundschilden, stach zu, löste sich blutig von zuckenden Körpern, wurde von einer nie gekannten Stärke in die Höhe gerissen, umhergewirbelt und nach unten geschlagen, traf auf funkensprühendes Metall, schmetterte Pfeile klirrend zur Seite, verharrte einen Atemzug lang neben Rutgars Bein, neben dem Bauch des Rappen, zuckte wieder hoch und beschrieb blutspritzende verwundende, tötende und knochenzerschmetternde Halbkreise.
Pferd und Reiter schienen, wie Dutzende anderer Kämpfer rechts und links von Rutgar, in vollkommener Lautlosigkeit durch das Geschrei, Geheule, Klirren, Wiehern, Kreischen und den Staub zu galoppieren. Er nahm den dröhnenden, malmenden Rausch nicht wahr, der ihn unverwundbar und rasend schnell machte. Nach zehn Herzschlägen oder einer kurzen Ewigkeit, in der er nichts anderes spürte als die Wirkung einer ungeheuren Kraft, die ihn beseelte, sah er vor und neben sich nur fahle Staubschleier.
Der Rappe machte noch fünf, sechs Galoppsprünge, dann schüttelte er sich, riss den Kopf in die Höhe und wendete, ohne dass Rutgar die Zügel eingesetzt hatte. Blutiger Schaum flockte von der Trense. Rechts und links des Ritts durch die Menge der Bogenschützen lagen Tote und Verwundete, hatten sich Pferde losgerissen, schlugen andere Bewaffnete auf die Überlebenden ein, starben Männer im Sattel oder auf dem Boden. Rutgar holte tief Atem, Schweiß klebte auf seiner Haut; sein Blick klärte sich. Sein Schwert war bis zum Heft voller Blut, der Schild halb zerhauen und voller abgebrochener Pfeilschäfte. Rutgars Atem ging wild und heiß. Er blickte um sich und versuchte sich zurechtzufinden.
Um ihn herum, einen Steinwurf weit, tobte der Kampf. Eine Schar Seldschuken hatte ihre Köcher geleert und sprengte zurück in die Menge der Nachrückenden. Ein großer Haufe, vielleicht hundertfünfzig Reiter, galoppierte, die Bogen spannend, auf die kämpfenden Ritter zu. Rutgar winkte mit dem Schwert hinüber zu Berenger und versuchte, ihm durch Gesten verständlich zu machen, was er vorhatte. Trotzdem brüllte er aus Leibeskräften:
»Nahe heran! Unter den Pfeilen hindurch!«
Berenger und die anderen schienen verstanden zu haben. Rutgar setzte die Sporen ein, hob den Schild halb über den Hals des Rappen und galoppierte an, schräg auf die näher kommenden Seldschuken zu. Die Pfeile schwirrten
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