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Jerusalem

Titel: Jerusalem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns Kneifel
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(deutsche) Volksmund verwendete für die Monate folgende (und andere, ähnliche) Bezeichnungen:
     
    1. Hartung oder Schneemond (Januar)
    2. Hornung (Februar)
    3. Lenzmond (März)
    4. Ostermond (April)
    5. Weidemond (Mai)
    6. Brachmond oder Johannismond (Juni)
    7. Heumond (Juli)
    8. Erntemond (August)
    9. Herbstmond (September)
    10. Weinmond (Oktober)
    11. Windmond oder Schlachtmond (November)
    12. Christmond (Dezember)

 
 
 
Erstes Buch
 
Von Clermont bis Konstantinopel
und Civetot

Prolog
 
A NNO D OMINI 1091, S OMMERTAG IN DER P ROVENÇE ,
M ITTAG
B URGRUINE B EAUSOLEIL BEI L ES -B AUX , IN DEN A LPILLES
 
»Fata volentem ducunt, nolentem trahunt.«
(L. Annaeus Seneca)
 
    Wieder begannen die Zikaden mit ihrem durchdringenden Lärmen. Ein Falkenpärchen zog seit einer Stunde seine Kreise hoch über dem brüchigen Rundturm der Burg. Schweigend, noch halb im Traum, sah Jean-Rutgar den Raubvögeln zu. Einige Tauben gurrten im verfallenden Taubenhaus, die wenigen Hühner, die der Fuchs sich noch nicht geholt hatte, wagten sich nicht aus dem Schatten der Scheune hinaus. Unter den weißen Wolken des Heumonds rüttelte Westwind an der Krone des Baumes und streichelte die Kornfelder in langen, zitternden Wellen. Ragenarda richtete sich halb auf und strich das schweißnasse Haar aus Jean-Rutgars Stirn.
    »Der Herbst beginnt. Ringsum zerbricht alles«, sagte sie leise. »Und der Wintersturm wird alles zu Staub zerblasen und forttragen in alle Welt. So wie dich.«
    Die weiße Sonne der Provençe, die das Land ausgedörrt hatte, brannte seit fast einem Monat heißer als sonst. Ein blauer, leuchtender Sommer endete. Aus dem Gebüsch kroch der Geruch von Rosmarin und Thymian. Auch Rutgars Tagtraum war von Wohlgeruch erfüllt gewesen, das Traumbild einer Burg mit rundem, weißem Turm unter leuchtenden Wolken, am sandigen Ufer eines Meeres von tiefblauer Farbe, und durch das Wasser hatte er rätselhafte goldene Dinge am Meeresboden liegen gesehen. Die Burg stand auf einem Hügel, inmitten riesiger Bäume, und der Hügel wuchs hervor aus einer silbernen, staunenswert fremdartigen Landschaft. Rutgar blinzelte den Traum fort und holte tief Luft. Über dem fernen Meer ballten sich Wolken, die ein Gewitter ankündigten.
    Rutgar öffnete die Augen und glaubte, die Schwungfedern an den Flügelenden der Falken zittern zu sehen. Dann blickte er in Ragenardas Gesicht, und mit lähmender Plötzlichkeit kamen Verwirrung, Trauer und Furcht zurück, die der Wachtraum vertrieben hatte.
    »Ich werde dich niemals vergessen können«, sagte er leise. Er hatte es schon Dutzende Male ausgesprochen. »Dich und das alles hier. Diese beiden Sommer. Niemand hat uns gesehen, keiner hat uns gestört. Warum muss es zu Ende gehn?«
    »Nichts währt ewig«, antwortete sie und beugte sich über ihn. Ihr schweres Haar umgab seinen Kopf wie ein schützender Mantel, die dunklen Spitzen ihrer Brüste rieben sich an seiner heißen Haut. »Die Armut zwingt uns. Ich muss fort. Du musst fort. Im Frühling geht auch Thybold. Die Burg wird bald nur ein Haufen Steine sein.«
    Der Brand während des Weidemonds im vergangenen Jahr hatte die Hälfte des Daches und viele der hölzernen Wände endgültig zerstört. Seit einem Jahr lebten nur Tauben, Mäuse und Ungeziefer, winzige Eidechsen und bleiche Skorpione zwischen den wenigen verwilderten Hühnern. Brombeeren, Himbeeren, Gestrüpp und mistralzerzauste Pinien wuchsen an den Flanken des Hügels außerhalb von Les-Baux und überwucherten die Brandspuren. Nur die Krone des Rundturms, aus der Dutzende Quader und Mauersteine herausgebrochen waren, ragte über die Pinienwipfel, in denen Zikaden schnarrten. Zum Versteck, in dem sie sich seit dreizehn Monaten mit der Hingabe derer liebten, die, weil sie das nahe Ende zu erkennen wussten, mehr und mehr Vorsicht fahren und sich von den köstlichen Stunden mitreißen ließen, führte ein handbreiter Pfad hinauf; schon eine Fußstunde an der Flanke vor dem Dörfchen auf der Klippe begann die menschenleere, wegarme Landschaft, über der nur Habichte und Falken rüttelten.
    »Morgen.« Die leise Stimme Ragenardas, dunkler Samt wie ihre Haut, konnte ihn selbst nach einem Jahr noch verführen. »Nach dem Gewitter, morgen früh, mein schöner, junger Geliebter, müssen wir uns trennen. Für immer.«
    Der Wetterturm wuchs schneeweiß im Westen; sinnlos, die Wolken und Stunden aufhalten zu wollen. Morgen begann ein anderes Leben. Die Furcht davor, das allzu Vertraute zu verlassen

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