Jerusalem
und die berittenen Sarazenen zurückzudrängen. Aber kaum schienen die Christen um sich herum Platz geschaffen zu haben, drangen Hunderte schneller Reiter vor und spickten erneut die Bewaffneten mit ihren Pfeilen.
Beide Heere wogten in hochwehenden Staubwolken hin und her, drangen vor und wichen zurück, konnten weder siegen noch verlieren. Reiterlose Pferde galoppierten keilend und mit kreischendem Wiehern durch die Masse der Kämpfenden, mit grauenhaften Wunden in den Kruppen und Hälsen oder mit halb herausgerissenen Därmen. Ihre Hufe teilten furchtbare Hiebe aus. Die Christen wehrten sich mit rasender Verbissenheit und meist schweigend, in unerschütterlicher Kampfordnung. Es gab kaum einen Ritter, der nicht verwundet war, aber keiner schien den Schmerz und den Blutverlust zu spüren. Worunter sie am meisten litten, war von Stunde zu Stunde größerer und peinigender Durst.
»Wasser! Bringt ihnen Wasser!«, erscholl ein Schrei.
Junge Frauen und Knappen wagten sich ins Gewimmel und schleppten Krüge und Ziegenschläuche zu den Kämpfenden. Während die Schilde der Sarazenen unter den klirrenden Hieben der Schwerter in Stücke geschlagen wurden, tranken einige Ritter, andere rissen die Helme herunter und schütteten sich Wasser über die Köpfe, wieder andere starben durch Pfeile, als sie die Krüge mit beiden Händen zum Kinn hoben. Hitze und Staub machten die schweißüberströmten Männer halbblind, der Staub verklebte Nasen und Augen und legte sich gallebitter auf Lippen und Zungen.
Die Sarazenen waren in der Übermacht. Die Reiter, die sich um die Fahnen ihrer Emire scharten und ihre Pfeilköcher füllten, ritten zurück ins Getümmel und schossen Pfeil um Pfeil auf ihre Ziele. Mitunter schien es, als würde die unerschütterliche, fast selbstmörderische Beharrlichkeit der schwer gepanzerten Ritter die leichtfüßige Reiterei an sich abprallen lassen, aber als Tancreds Bruder Wilhelm fiel, konnte auch Tancred selbst nicht zu dem Sterbenden vordringen und wenigstens die Fahne retten. Die kampferfüllten Augenblicke schienen sich zu qualvoll langen Stunden zu dehnen. Die Sonne kletterte in die Höhe, und die Schatten wurden kürzer.
»Allāhu akbar!« Die Schreie kamen von überall her. Schritt um Schritt drangen die Türken tiefer in das Lager ein. Zelte brannten, der Dampf des Löschwassers brodelte auf. In den Herzen der Ritter entstand die Überzeugung, als Märtyrer sterben zu müssen; die Frauen ahnten, dass das Schicksal für sie nur noch Sklaverei und Schändung übrig hielt, bevor der Abend kam. Auf der Seite des Lagers, die an einem flachen Bach lag und scheinbar im Schutz von dichtem Schilf und schlammigem Boden, walzten die sarazenischen Reiter das Schilf nieder und griffen den Tross an.
Es waren einfach zu viele; ihrer Übermacht waren die Franken nicht gewachsen. Die Talebene hallte wider von den Schreien der Angreifer und der Verteidiger. Es würde nicht mehr lange dauern, bis das unüberschaubar große Heer des Sultans den letzten Widerstand trotz vieler eigener Verwundeten und Toten niedergekämpft hatte.
Seit dem gestrigen Sonnenaufgang hatten die Kundschafter nicht einen einzigen »Sarazenen« ausspähen können; nicht einmal Zeichen dafür, dass hier die Reiter des Sultans durchgezogen waren. Die Nacht verlief völlig ungestört. Die Ritter und ihr Gefolge fühlten sich sicher wie in Abrahams Schoß. Berenger, Rutgar und einige von Butumites' Reitern, unter ihnen der Schreiber Arkadios, hatten die Morgenwache übernommen und ritten abseits der Straße zum Anfang des Lagers, nach Südosten also.
Die Pferde setzten Huf vor Huf. Von den Zweigen tropfte Tau; die Dunkelheit wich und wurde vom Rauch einiger Feuer abgelöst, der entlang der gewundenen Straße dicht über dem Sand dahinkroch. Rutgar hob den Zügel und setzte sich kerzengerade im Sattel auf. In der halben Stille vor dem Morgengrauen, trotz des ununterbrochenen Geräusches, das die vielen Menschen und Tiere verursachten, hörte er ungewohntes Trommeln, aus weiter Ferne. Schlagartig wich die Müdigkeit aus seinem Körper. Er hielt den Atem an, nickte und sagte nach einer Weile drängend:
»Berenger! Reiter vor uns. Im Galopp ... leichte Pferde. Wahrscheinlich Seldschuken.«
Berenger und Arkadios hielten die Hände hinter die Ohren, lauschten und trieben dann ihre Pferde an.
»Wir reiten ihnen entgegen«, bestimmte Berenger und winkte seinen Kundschaftern. »Arkadios! Sag dem Tatikios Bescheid, schnell! Haltet die Waffen
Weitere Kostenlose Bücher