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Jerusalem

Titel: Jerusalem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns Kneifel
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Gassen, durch die noch mehr Ritter trabten. Das Trommeln der vielen Hufe schwoll an und wurde leiser, als vom Ende des Lagers die Brüder Grandmesnil und Odo von Bayeux mit ihren Vasallen durch die Gasse geritten und hinter der Biegung verschwunden waren. Viele Reiter trugen die langen normannischen Bögen und mehrere volle Köcher auf dem Rücken. Ein einzelner Kundschafter galoppierte heran und rief:
    »Alle Reiter sind fort, Berenger! Hinterher?«
    »Holt eure Waffen und - hinter uns her! Wir sind schneller als die auf den schweren Gäulen!«
    Rutgar war bereit; er wusste Chersala im Schutz des Trosses. Er knotete den dreieckigen Schild, den er seit der Belagerung Nikaias trug, an den Sattel und trieb seinen Rappen mit den Sporen an. Berengers Pferd fiel in schnellen Trab, und seine Männer schlossen sich ihm an.
    Kurze Zeit danach kam das halbe Hundert Reiter aus der Waldschneise ins Freie. Die Sonne stand am wolkenlosen Himmel eine Handbreit über den Hügeln. Wieder begann ein greller, heißer Tag.
 
    Rutgar und Berenger waren ebenso wie die anderen Kundschafter in die Staubwolke eingehüllt, die ein paar Tausend Pferdehufe aufgewirbelt hatte. Die Ritter schonten ihre Tiere und ließen sie nur für kurze Zeit galoppieren. Weit vor den Söldnern auf ihren schnellen Pferden schien ein unsichtbares Gewitter zu toben. Das Dröhnen begleitete das Heer Herzog Gottfrieds und des einäugigen Raimund, und noch Rutgar, zwei Pfeilschüsse hinter dem Letzten des Ritterheeres, glaubte das Beben der Erde zu spüren.
    Erst weit hinter dem Trupp der berittenen Kundschafter kamen die bewaffneten Fußkämpfer, deren Fahnenträger ab und zu eine kurze Wegstrecke rannten, um die Geschwindigkeit der Marschierenden zu vergrößern. Rutgar saß vornübergebeugt im Sattel. Zahllose Gedanken kreisten in seinem Kopf; nutzlose, hoffnungslose und einige, die ihn an schönere Tage erinnerten. Der Helm drückte, unter dem Kettenhemd tränkte Schweiß die Kleidung, und der Schwertgriff schlug in rohem Takt gegen seine linke Schulter.
    Sein Halbbruder Thybold war nicht im Heer der Provençalen. Ein Mönch und ein Knappe aus dem Heer Raimunds von Toulouse hatten auf seine Fragen geantwortet, dass sie den Namen Thybold gehört hatten: Ein junger Ritter im Gefolge Adhemars von Le Puy, sagten sie, wurde so gerufen. Aber sie wussten nichts von leuchtenden blauen Augen und einer Falkennase und nichts von Les-Baux. Aber Rutgars Hoffnung war nicht geringer geworden. Verhielt es sich so, dann war Thybold zwischen den Rittern, die Adhemar auf der südlichen Straße nach Dorylaion anführte. Aber auch in diesem Haufen wusste jeder, dass ein Späherreiter des Generals seinen Halbbruder suchte ...
 
    Ungefähr eine Stunde vor dem höchsten Stand der sengenden Sonne erreichten die Reiter des Generals den Hügelkamm, von dem aus sie den größten Teil der Talebene überblicken konnten. Zwischen dem Rauch einiger Brände und den verwehenden Staubwolken erkannten Rutgar und die Kundschafter zwischen den Bäumen ein unregelmäßiges Viereck aus Wagen und Trümmern, das an einigen Stellen durchbrochen war. Das Heer Raimunds und Gottfrieds hatte sich am Rand des unübersichtlichen Schlachtfeldes getrennt und ritt mit gefällten Lanzen und hochgereckten Schilden in den Ring aus seldschukischer Reiterei hinein. Von links hörte man die Rufe: »Allāhu akbar!«
    Rechts drang »Toulouse! Toulouse!« durch den infernalischen Kampflärm. Berenger stellte sich in den Steigbügeln auf und brüllte: »Galopp! Zu den brennenden Zelten an der Straße! Schützt euch vor den Pfeilen!«
    Er setzte sich zurecht, zog sein Schwert und galoppierte an, den Schild vor Brust und Schulter. Seine Reiter folgten durch den Staub der schmalen Straße und versuchten zu erkennen, was sie erwartete. Die Fahnen der christlichen Schlachthaufen flatterten mitten im Gewimmel. Die Ritter und ihre gepanzerten Vasallen galoppierten auf den schweren Pferden, sich zu spitzen Keilen formierend, mitten in die dichtesten Gruppen der Seldschuken hinein. Immer wieder drangen die Schreie »Toulouse! Toulouse!« durch das Dröhnen und Klirren.
 
    Nicht eine einzige Lanzenspitze reckte sich über die Helme der Berittenen; die Gepanzerten sprengten mit gefällten Stoßlanzen die Kampfordnung der sultanischen Reiterei auseinander und bogen scharf ab, als sie den Rand des Lagers und die wirren Linien der Verteidiger erreicht hatten. Nach einer vollkommenen Verwirrung, die einige Atemzüge lang anhielt,

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