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Jerusalem

Titel: Jerusalem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns Kneifel
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Laute und alle Empfindungen über die Erinnerungen an die Wüsten des Heiligen Landes und an die Jahre der Entbehrungen und Kämpfe, an die unzählbaren Schritte, Stadien und Meilen der bewaffneten Wallfahrt. Die Hufe der Pferde, die von der Aufgeregtheit der Reiter angesteckt waren und tänzelten, klangen auf der steinigen und sandigen Straße vom Beginn des Ritts an leichter, fast heiter; Rutgar hatte seit der Belagerung von Nikaia nie wieder dieses Gefühl gehabt.
    »Seltsam. Träume ich?«, sagte er laut und lachte. »Neun Jahre war ich fort ...«
    »Sieben sind's bei mir!« warf Thybold ein. »Wolltest du sagen: Nichts scheint sich verändert zu haben?«
    »Es hat sich viel verändert.« Chersala zügelte ihr Pferd und sah sich lächelnd um. »Ihr merkt es nur nicht.«
    Sicherlich waren im Dörfchen viele Menschen gestorben und viele geboren worden. Bäume hatte man gefällt, und andere waren ein gutes Stück gewachsen und hatten heute größere Kronen. Die Felsen und die karge Landschaft sahen so aus wie damals. Der Glanz des Sonnenlichts war der gleiche, der Mistral pfiff und heulte und zerrte an den Reitern - wie damals. Taubenschwärme, Milane und Falken flatterten und kreisten unter den Frühlingswolken. Das helle Grün und die unzähligen Blüten des Frühlings beruhigten die Augen und die Herzen.
    »Ach. Fünf Rauchsäulen. Mittagsfeuer«, sagte Thybold und zeigte auf den Felsen von Les-Baux, ein oder zwei Wegstunden entfernt. Der Ginster färbte das Strauchwerk gelb. Die Reiter blickten auf die Mauern der Häuser auf der Felsplatte und auf Dächer. Das Dorf wirkte friedlich, aber arm - wie damals. »Les-Baux ist nicht ausgestorben. Aber ich glaube, uns kennt keiner mehr.«
    »Vielleicht erkennst du am Mittag, was in unserer Zeit anders war«, warf Thybold ein. »Meine Neugierde ist kaum kleiner als deine.«
    Sie ritten weiter. Auf vielen Feldern arbeiteten Bauern. In einigen weit verstreuten Feuern wurde dürres Unkraut verbrannt. Vor seinem inneren Auge sah Rutgar bereits die Tagelöhner, die rings um die Burgruine den Wildwuchs lichteten, sah große Haufen Kaminholz, Arbeiter im Steinbruch und Gespanne voller Quader und behauenen Bruchstein, andere Gespanne, die Baumstämme und Bohlen herankarrten, und Brunnen, aus denen klares Wasser geschöpft wurde, den Donjon, der aufgebaut wurde.
    Auf der Rückfahrt hatten sie erfahren, dass Papst Urban II. an einem der letzten Tage des Heumonds gestorben war und von der Eroberung Jerusalem nichts erfahren hatte. Seit sie in Marseille an Land gegangen waren, waren sie von jedermann freudig und manchmal mit Ehrfurcht bestaunt worden, obwohl sie an ihren Mänteln keine Kreuze trugen. Aber hundertmal mussten sie von der Eroberung Jerusalems erzählen; man verwöhnte sie mit Wein, Essen und kleinen Geschenken.
    Sie schwiegen, tief in Gedanken, vielleicht eine Stunde lang, betrachteten das Land und beobachteten jede Bewegung; die Pferde trabten auf der Schlängelstraße. Einen Pfeilschuss weit führte die Straße zwischen die ersten Häuser des Dorfes. Andere Gerüche schwebten heran. Die Pferde witterten Wasser, Futter und Stall und trabten schneller. Thybold richtete sich im Sattel auf, kitzelte sein Pferd mit den Sporen und galoppierte ins Dorf. Rutgar blieb neben Chersala, suchte den Griff ihrer Finger und sagte:
    »Habe ich zu viel versprochen oder zu wenig? Glaubst du, dass dieses Stück Land deine Heimat sein kann?«
    Ihre Pferde fielen in Schritt. Aus den Häusern kamen einige Bewohner und starrten die Besucher verdutzt an. Kinder liefen auf die Reiter zu, ein Hund scheuchte gackernde Hühner auseinander. Chersala drückte Rutgars Hand und antwortete:
    »Darauf antworte ich später, Liebster. Lass uns ein paar Nächte schlafen, dann weiß ich es.«
    Sie folgten Thybold und hielten in der Mitte des Dorfes, zwischen eng aneinandergebauten Reihen von Häusern mit steinernen Mauern. Ein Hund kläffte, zog aber den Schwanz ein, als Thybold aus dem Sattel stieg. Chersala wandte sich halb um, sah in Rutgars Gesicht und schüttelte ganz leicht den Kopf.
    »Du musst nicht weinen, Liebster«, sagte sie leise. »Wir sind hier, gesund und mit allem, was wir haben. Dein Traum, unser Traum, er wird wahr werden.«
    Sie nahmen die Pferde am Zügel und führten sie zu Thybold in die Mitte des Dorfes. Die Saumtiere folgten willig, mit Satteltaschen voller Silber und Gold. Um Thybold, den sie wiedererkannten, scharten sich zögernd einige alte Männer. Rutgar blieb stehen und sah

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