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Jerusalem

Titel: Jerusalem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns Kneifel
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einem unserer Heere?«
    »Weil ich niemandes Verwandter oder Gefolgsmann bin, ehrwürdiger Herr Bischof«, antwortete Rutgar ruhig, aber bestimmt. »Ich erhalte Sold von General Tatikios.«
    Adhemar von Le Puy nickte zweimal. Es war nicht zu erkennen, ob er diese Antwort billigte. Berenger und Rutgar beugten die Köpfe, schlugen die Fäuste gegen die Brust und liefen den Hang des Walls hinunter. Nach Harenc, nördlich der Orontes-Brücke erbaut, hatten sie es nicht weiter als drei, vier Stunden Trab abseits der Straßen.
 
    Am 17. Tag des Windmonds berichtete ein Bote auf abgehetztem Pferd aus Sankt Simeon, dass dreizehn Schiffe aus Genua eingelaufen waren. Sie brachten Proviant, Wein und Teile für Belagerungsgeräte. Auch einige Dutzend Wallfahrer in Waffen aus unterschiedlichen Ländern waren an Bord und würden, sobald sie Reittiere und Sättel kaufen konnten, an der Belagerung teilnehmen.
    Am Mittag des gleichen Tages galoppierte Rutgar im strömenden Regen durch das Tor aus Bohlen und Astgeflecht und die Lagergasse entlang bis vor das Zelt des Generals. Er sprang aus dem Sattel und warf den Zügel einem Knecht zu. Tatikios und Bohemund von Tarent saßen an einem Tisch und tranken.
    »Komm herein, Rutgar!«, rief Tatikios. »Ist Berenger nicht bei dir?«
    Rutgar verbeugte sich, nahm den Helm ab und fuhr durch sein Haar. »Er wartet auf Euch, Fürst Bohemund. Auf Eure Bewaffneten. Wir wissen, wie Ihr Harenc einnehmen könnt. Es ist nicht allzu schwer, wenn Ihr Euch an Nikaia erinnert.«
    »Ihr wisst alles über die Besatzung und die Befestungen? Brauchen wir Leitern, Wurfmaschinen und ...«
    Der Regen prasselte auf das Zeltdach. Tatikios deutete auf einen Scherenstuhl und füllte einen Becher, den er über den Tisch zu Rutgar hinüberschob. Jeder Schritt Rutgars hinterließ eine Pfütze.
    »Redet, Jean-Rutgar«, forderte er ihn auf. »Setzt Euch. Trinkt einen Becher Wein. Dann ... sagt uns, wie wir die Burg erobern können.«
    Rutgar nahm einen Schluck, setzte zum Sprechen an, wischte sich die Nässe aus dem Gesicht und begann zu reden.
    »Zuerst müsst ihr die Burg und den Hügel umstellen. Es gibt fünf Fluchtwege ...«
    Zwei Stunden später wussten der General und der riesenhafte Normanne, was zu tun war. Mit den Fingern, Wein und einem Stück Holzkohle hatte Rutgar die Umrisse der Befestigung samt allen Wegen auf die Tischplatte gezeichnet. Bohemund stürmte aus dem Zelt, schwang sich in den Sattel und ritt zu seinem Lager.
    Im Morgengrauen brachen seine Truppen mit ihm und dem Bannerträger an der Spitze nach Harenc auf. In der gleichen Stunde nahm Tancred von Tarent mit seinen Gefolgsleuten seinen Platz am Brückentor ein. Vierzig Mark Silber zahlten ihm die Fürsten für seine Bemühungen. Er sperrte das Tor und verhinderte ebenso alle Ausbrüche der Seldschuken wie jeden Versuch, lebendes Vieh nach Antiochia hineinzutreiben.
    Bohemund erstürmte Harenc, tötete drei Viertel der Besatzung und ließ nach seiner Rückkehr alle Gefangenen bei seinem Lager, vor den Mauern auf dem Sankt-Pauls-Tor köpfen. Ohnmächtig, vor Wut und Hass schreiend, sahen die Seldschuken von den Zinnen und aus den Türmen dem blutigen Schauspiel zu.
    Ohne überfallen zu werden, erreichten die Ritter, der Proviant und die Belagerungsgeräte aus dem Hafen Sankt Simeon die Zelte der Belagerer. Auch an diesem Tag hängte Yaghi-Siyan den rhomäischen Patriarchen der Stadt in einem eisernen Käfig über die Zinnen eines Wehrturms, sodass ihn alle Insassen der Lager sehen konnten; ein winziges Menschlein in zerschlissenen Prunkgewändern hinter den Gittern seines unerschütterlichen Glaubens, wie Bischof Adhemar predigte.
 
    Rutgar glaubte nicht mehr daran, dass seine Schreiben jemals die Stadt Köln, die Abtei Cluny und die hilfreichen Mönche erreichen würden. Andererseits unterhielten die Heerführer mit Hilfe des Generals und der Söldner des Basileus einen zuverlässigen Botendienst; die Christen in den Heimatländern der Ritter erfuhren ebenso vom glücklichen Fortgang des bewaffneten Pilgerzugs wie der Patriarch Simeon auf der Insel Zyprus. Vielleicht las Herr Neidhart eines fernen Tages in der fernen Stadt, was Rutgar schrieb. Manchmal dachte er an eine Kemenate seiner weißen Burg, wo er im Altersbehagen seinen Söhnen oder Enkeln von seinen Erlebnissen vorlas und erzählte. Er seufzte und schrieb weiter.
 
    Brief an Chorherrn Neidhart von Sankt Marien zu Köln von Jean-Rutgar, der vor Antiochia lagert:
    Balduin von Boulogne,

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