Jerusalem
knapp, ebenso wie das Heu unserer Pferde. Aber noch leiden wir keine Not, denn keiner, selbst Tatikios nicht, isst und trinkt mehr als sein Nächster.
Bohemund sprach im Rat der Fürsten und forderte, ihm die Stadt zu überlassen, wenn er sie als Erster beträte. Sonst würde er mitsamt seinen Gefolgsleuten nach Italien zurückkehren. Bischof Adhemar wandte mancherlei ein, der Graf von Toulouse widersprach, aber Herzog Gottfried von Bouillon stimmte Bohemund zu. Robert von Flandern und Bohemund sammelten eine große Zahl Ritter und Fußsoldaten und brachen auf, den Orontes aufwärts, um nach Vorräten und Proviant zu suchen, aber auch, um sich dem Heer des Duqaq zu stellen, von dem unsere Kundschafter berichteten. Bei dem Städtchen Al Bara lagerten die christlichen Ritter, ohne auf das Heer der Seldschuken zu treffen, von denen indes Herzog Robert nachts umzingelt wurde. Am frühen Morgen trafen Robert und die Seldschuken aufeinander und fochten einen furchtbaren, langen Kampf aus, in dem die meisten Fußkämpfer getötet wurden und den schließlich Fürst Bohemunds Heer gewann. Die Truppen aus Damaskus und Mosul wurden zwar geschlagen, aber die Ritter fanden nur Pferde, Verwundete und Tote; auch in den Dörfern um Al Bara war kein Proviant zu finden. Weder Bohemund noch Robert, dessen Heer viele Tote und Verwundete beklagte, waren des Sieges zufrieden, als sie nach Antiochia zurückritten.
Die Not in den Lagern der Pilger war größer als das Gottvertrauen, der Hunger wurde bitterer als die Furcht vor Sünden. Wieder einmal berieten die streitsüchtigen Fürsten und entschieden sich, abermals die Herren Bohemund, Tancred von Tarent und Robert von Flandern mit einem großen Heer den Fluss hinauf zu entsenden, um Nahrungsmittel herbeizuschaffen, koste es Kampf und Plünderei oder nicht. Nachdem die Kampfhaufen abgezogen waren, wagte Emir Yaghi-Siyan mit vielen Kriegern nachts einen Ausfall, öffnete die Tore und kam mit Gewalt über die Lager im Norden Antiochias. Raimund von Toulouse aber, von wachsamen Spähern aufgeschreckt, versammelte seine tapfersten Ritter und einen Haufen Berittene aus Bischof Adhemars Lager und drang in der Finsternis auf die Seldschuken ein. In blinder Furcht flüchteten die Krieger des Emirs zurück in die Stadt. Es wäre dem Einäugigen beinahe gelungen, die Stadt bei Fackellicht zu erstürmen. Aber ein durchgehendes Pferd stiftete große Verwirrnis zwischen den Kämpfenden, sodass die Mannen des Emirs die Ritter wieder über die Torbrücke trieben und sie, als jene flüchteten, bis zur Schiffsbrücke verfolgten.
Bis zum Morgengrauen kämpften die Ritter gegen die Verteidiger. Unter den Gefallenen war auch der Bannerträger des Bischofs, und als die Seldschuken schließlich am frühen Morgen durch das Meertor wieder in den Schutz der Mauern flüchteten, schleppten sie mit höhnischem Geschrei die Fahne mit sich. Viele Verwundete und Tote wurden gezählt; neben denen, die an Krankheiten zugrunde gegangen oder verhungert waren, wurden die Leichen vieler tapferer Krieger Gottes begraben.
Aber auch dieser schwere Kampf und der Sieg über das Heer Duqaqs vermochten die Hungersnot nicht zu lindern. Für ein Schaf mussten fünf Goldstücke, für ein mageres Rind zwei Mark Silbers hingegeben werden. Fürst Bohemund drohte abermals, mitsamt seinem Heer abzuziehen, um seinen Mannen nicht beim Verhungern zusehen zu müssen. Mühsam überredeten ihn die anderen hohen Herren zum Ausharren.
Um Mittag saßen Berenger, Rutgar und Chersala im Zelt und löffelten dünne Brühe mit Fleischfasern, aufgequollenen Körnern und geschnittenem Lauch. Unter den Belagerern, in jedem Lager, hatte sich zugleich mit dem Hunger tiefe Niedergeschlagenheit ausgebreitet. Seit dem ersten Tageslicht schien die Sonne das nasse Land versengen zu wollen. Vor den Mauern und vom Sumpf ebenso wie aus dem Flusstal stiegen Nebel auf und vermengten sich mit dem Rauch der Feuer aus den Lagern und der Stadt. Fünf Tage nach dem Weihnachtsfest wirkte selbst Berenger erschöpft, ratlos und voller Gedanken an Aufgabe und Flucht zu sein.
»Jeder Zehnte, in allen Lagern, selbst in den Zelten der Ritter«, sagte er leise und fuhr mit dem Finger im Napf herum, »ist schon verhungert. Hier, vor der Stadt, die voller Proviant ist.«
Rutgar hörte seinen Magen knurren, als er antwortete: »Stephan von Blois hat geschrien, dass Gott über das unflätige Leben und den Hochmut seiner Kreuzeskrieger erbost ist. Wir sollen fasten, sagt
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