Jerusalem
Wurfmaschinen halbwegs zusammengebaut worden. Die Anführer befahlen, die Gerätschaften vollends aufzurüsten und in Stellung zu bringen. In fieberhafter Eile schufteten die Belagerungshandwerker und ließen die fertig errichteten Maschinen auf die Straße am Ende der Brücke ziehen. Große Wackersteine und Felsbrocken, mit eisernen Spitzen versehene Balken und armdicke Lanzen wurden Tag und Nacht gegen die schmalen, aber drei Mannsgrößen hohen Tore geschleudert und häuften sich vor den Torflügeln. Pfeile und Brandpfeile flogen hin und her, aber immer wieder öffnete sich eine Hälfte des Tores, und die Seldschuken schleppten die Hindernisse weg.
Zuletzt sahen die Anführer keinen anderen Ausweg mehr, als Felsbrocken und mannsgroße Steine aus dem Flussbett heraufzuwuchten und mit unendlicher Mühe zur Brücke zu schleppen. Zwischen den verkohlten Balken und den Schleudergeschossen türmten sie einen halb steinernen, halb hölzernen Wall auf, der die Brücke in einer Tiefe von zehn Schritten sperrte. Mehr als mannsdicke Baumabschnitte ragten zwölf, fünfzehn Ellen hoch zwischen den Steinen auf - unüberwindlich für kletternde oder gar berittene Seldschuken.
»Jetzt wird uns kein Ungläubiger mehr angreifen!«, rief Bohemund von Tarent, als die Knechte zwischen Steine und Stämme bündelweise Dornenranken flochten. »Besprechen wir unter uns, welche Stellen wir belagern wollen. Und wo wir in die Stadt eindringen können.«
»Der Emir lässt die Stadt befestigen. Schon seit langer Zeit«, fügte der General hinzu. »Aus diesem Grund befiehlt er keine Ausfälle.«
»Übermut und Hoffart sind uns fremd«, sagte Bischof Adhemar. »Aber wir sind voller Gottvertrauen.«
Das Heer und der Tross hatten die fruchtbare Ebene des Orontes in Besitz genommen. Die kleinen eigenen und die großen Herden der Beute weideten, es gab Milch und Braten, frisches Brot und Butter und Wein, Nüsse und Früchte, Öl und alles, was die Pilger so lange entbehrt hatten, scheinbar im Überfluss. Tatikios ließ in seinem Lager Vorräte anlegen: Wein, Korn und Pökelfleisch, Käse und Öl; seine Kundschafter hatten sich darüber empört, dass die Franken nur die besten Bratenstücke aßen, die Reste der Schlachttiere den Hunden und Geiern überließen.
Die Schmiede schärften Messer, Dolche, Speerspitzen und Schwerter, Äxte und Kampfbeile, hämmerten Pfeilspitzen, Bolzen, Nägel und Klammern, während armenische Christen, die sich durch die südlichen Tore aus der Stadt geschlichen hatten, von den Absichten und Befehlen Yaghi-Siyans berichteten. Überall herrschte Betriebsamkeit, niemand gab sich dem Nichtstun hin. Der Emir schonte seine Krieger, ließ Tore und Mauern verstärken, zwang die Christen Antiochias zur Fronarbeit und wartete auf Verstärkung, die über die beiden freien Straßen kommen würde.
Zum Warten riet auch Bohemund. Raimund von Toulouse hingegen wollte möglichst bald einen machtvollen Angriff starten. Doch zunächst einmal geschah nichts. Fünfzehn Tage lang ungefähr kämpften weder Muslime noch Christen innerhalb oder außerhalb der Mauern; es gab nur zufällige, kleine, aber blutige Scharmützel.
Das Zelt war eingeräumt, die Pferde getränkt und auf der Weide, die Belagerungshandwerker und die Kundschafter errichteten die Befestigung um das Lager des Generals. Chersala hörte den Lärm durch die Zeltleinwand; ein gewohntes Geräusch aus vielen Lauten. Sie kannte dieses Rumoren, Hämmern, Geschrei und Fluchen wie die eigenen Seufzer. Sie ließ sich auf eine Truhe sinken und flüsterte: »Hier bin ich also. Tausend Tage weit ist Drakon. Wir finden niemals mehr zurück.«
Sie schloss die Augen und holte tief Luft. Zahllose Gedanken an Flucht und Überleben, durchmischt mit Todesfurcht, drangen auf sie ein. Jean-Rutgar, Berenger und ihre Träume von einem Leben in einem Land, in dem sie weder verhungerten oder verdursteten, weder todkrank wurden noch zu Tode kamen, drohten an den Mauern der Stadt in tausend Funken zu zersprühen und als Asche unter den Hufen der seldschukischen Reitpferde zu zerstäuben.
Eine Stunde lang hatte Chersala in schweigendem Staunen zur Stadt hinübergestarrt, die herbstliche Farbe der Bäume und die steinernen Häuser am Hang des Berges, die Schafherden und die winzig kleinen Menschen beobachtet, die umherrannten und Steine und Balken schleppten. Dort gab es weiche Lager, Ruhe, Essen und Wein und frisches Brot; dort, hinter den Mauern, brauchten sich Frauen nicht zu verkleiden,
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