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Jerusalem

Titel: Jerusalem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns Kneifel
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entfernt.
    »Könnt ihr alles genau sehen?« Berenger hob die flache Hand über die Augen. »Raimund von Aguilers. Und der Bischof von Albara, mit der Heiligen Lanzenspitze.«
    Aus der gewaltigen Menschenmenge brodelte Lärm, zusammengesetzt aus Murmeln, Gesprächen, Schreien und Gelächter. Pilger und Soldaten drängten sich näher an den kleinen Kreis, den Knechte und Helfer abgesperrt hatten, indem sie sich mit quer gehaltenen Stangen und Lanzen gegen das Geschiebe stemmten.
    Aus einem Zelt, durch eine schmale Gasse, kam Peter Bartholomäus, nur mit einem Büßerhemd bekleidet. Zwei Priester zündeten das Holz an; Flammen und Rauch stiegen in die Höhe. Peter kniete vor dem Bischof nieder. Nachdem der Bischof dem Visionär die in Brokat gewickelte Reliquie gereicht hatte, sprachen sie gesenkten Hauptes ein kurzes Gebet, und Peter begann mit seinem Gang durch die Flammen.
    Das Lärmen und Malmen wurde lauter. Rutgar konnte, wie alle anderen, nur noch Peters Kopf sehen, der über die flammenden Holzstapel ragte. Schritt um Schritt, unter dem Jubel und dem Geschrei der Pilger, ging Peter durchs Feuer, blieb ungefähr in der Mitte der Wälle stehen und ging, einige Atemzüge später, im gleichen Schrittmaß weiter.
    »Wenn ich es nicht selbst sehen würde«, brachte Rutgar hervor, »ich würde es nicht glauben. Ein anderer ... käme er weiter als zehn Schritte?«
    Weder Chersala noch Berenger antworteten. Das Geschehen bannte ihre Blicke. Scheinbar unversehrt kam Peter am anderen Ende der Flammenwände aus einer Rauchwolke hervor, ohne dass sein Haar, sein Hemd oder der Stoff der Lanzenspitze versengt oder verbrannt waren. Er hob das Bündel hoch, winkte und rief etwas, das im Geschrei der Menge unterging. Die Menschen drängten die Absperrung zur Seite und umringten ihn; er ging in einem Gewirr von Armen und Körpern unter.
    »Er lebt«, sagte Chersala und holte tief Luft. Sie schien aus einem Traum zu erwachen. »Er ist nicht erstickt, nicht verbrannt. Dieses Gottesurteil - ist es ein Wunder, Rutgar?«
    »Ich weiß es nicht.«
    Die Pferde wurden unruhig. Berenger und seine Gefährten sahen zu, wie Bartholomäus aus dem Menschenhaufen herauskam. Er wurde halb getragen, halb ging er auf eigenen Füßen, bis zu einem Zelt, dessen Eingang sich schloss. Berenger ließ sein Pferd auf der Stelle drehen und sagte:
    »Wunder oder keines - Graf Raimund wird die Belagerung nicht abbrechen.«
    Die vielen Zeugen des Gottesurteils begannen sich zu zerstreuen. Rutgar wartete, bis Chersala hinter Berenger ritt, wendete sein Pferd und folgte ihnen. Was ich gesehen habe, sagte er sich, habe ich gesehen. Was ich glaube ... ich werde es lange begrübeln müssen.
 
    War es wirklich ein Wunder, dass Peter Bartholomäus erst zwölf Tage nach dem Gottesurteil und zehn Tage nach dem Osterfest elend und voller Schmerzen seinen Verletzungen erlag? Wunderbar erschien es den Kundschaftern um Berenger auch, dass die Verteidiger Arqas alle Versuche, die Mauern und Tore zu erstürmen, tapfer und unter großen Entbehrungen zurückgeschlagen hatten. Ohne göttliche Zeichen aber gab Raimund endlich, am 13. Tag des Weidemonds, den Befehl, die Belagerung abzubrechen und in die Richtung auf Tripolis zu reiten.
    Das Heer wählte die Straße, die sich entlang der Küste hinzog. Der Weg nach Damaskus würde durch wasserloses Gebiet führen, und die steile Straße durch die Berge des Libanon wollten die Anführer den Packtieren nicht zumuten.
    Als das Heer nahte, entließ der Emir von Tripolis dreihundert Christen, die gefangen genommen worden waren, schenkte ihnen Pferde und fünfzehntausend Goldmünzen und ließ ausrichten, dass er geneigt sei, sich zum Christentum bekehren zu lassen. Überdies schickte er eine Gruppe Führer, die zusammen mit den Spähern Berengers das Heer um das Kap Ras Shaqqa leiteten, und nach dem Überqueren des Nahr el-Kalb, des »Hundeflusses«, zunächst bis nach Beirut.
    Als am 20. Weidemond das Lager am Fluss Nahr el-Awali bei Sidon aufgeschlagen wurde, wagte die Besatzung Sidons einen Kampf, den die Krieger Gottes zurückschlugen. Daraufhin verwüsteten sie die Obstgärten und die Palmenhaine der Vororte der Stadt. Das Heer erstieg den Bergpass, der »Leiter von Tyrus« genannt wurde. Eine große Zahl Berittener, unter ihnen Balduin von Le Bourg, war dem Heer von Edessa und Antiochia aus gefolgt und holte es hier ein. Das gesamte Heer erstieg den Pass und schickte sich an, über die Höhenzüge von Naqoura nach Akkon

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