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Jerusalem

Titel: Jerusalem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns Kneifel
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abzusteigen.
 
    Trotz der sengenden Strahlen der mittäglichen Sonne wehte vom Meer her ein kühler Wind und trocknete den Schweiß der Männer und der Reittiere. Jean-Rutgar half Chersala aus dem Sattel, lehnte sich gegen die Flanke seines Rappen und blickte zuerst nach Norden, dann nach Westen. Über den Tälern zitterte die Luft vor Hitze. Von hier aus war das Meer, über dem riesige weiße Wolken aufstiegen, nur zu ahnen.
    »Abermals, Liebste, haben wir viele Meilen hinter uns gelassen«, sagte er in fast träumerischem Tonfall. Er führte eine umfassende Geste aus. »Du bist wieder gesund, und wir alle haben uns erholt, sind satt und zufrieden.«
    »Kann es sein? Nur noch zehn, zwölf Tage bis Jerusalem?« Sie legte die Arme um Rutgars Schultern. »Und dann ...?«
    Berenger bedeutete den muslimischen Führern, zur Spitze des Heerzugs zu reiten, und lenkte sein Pferd zu Rutgar und Chersala.
    »Nun, ihr Turteltäubchen?« Er grinste und zwinkerte Chersala zu. »Sucht ihr in der Ferne die herrliche Stadt Jerusalem? Oder das Land, in dem Milch und Honig fließt?«
    »Schwerlich«, antwortete Rutgar. »Ich nehme Abschied von einem Land, das mir fremd geblieben ist. Trotz, bisweilen, reichlich Milch und Honig.«
    Fremdartige Gewächse, die schwellende Fülle von Gärten und Hainen, einige Dutzend vergiftete Brunnen, fruchtbare Täler, durch die schmale Flüsse plätscherten, Sand und nackte, sonnendurchglühte Felsgipfel, die weißen Mauern kleiner Städte im Schatten raschelnder Baumkronen und die seltsamen Gewänder der Bewohner, langhalsige, schwerbeladene Lastkamele, Düfte und Gewürze, Feigen, Granatäpfel und Datteln und die niedrige Brandung an den Sandstränden - jede Stunde, jeder Tag bot andere Bilder einer bisher unbekannten, lichterfüllten Welt.
    »Fremd und auf eigene Weise schön.« Berenger leerte den Wassersack in den Lederbeutel und ließ sein Pferd saufen. »Aber uns allen ist es gut ergangen. Man sieht's bei jedem von uns.«
    Chersala war vollständig gesundet, aß und trank kräftig, bewegte sich und ritt wie vor den quälenden Fieberwochen in Antiochia, ihre Haut war glatt und sonnengebräunt. Aber die überstandene Seuche hatte ihre Spuren hinterlassen: Ihr Gesicht trug die Zeichen größerer Reife und einige winzige Falten mehr. Ihr Haar hatte sie nackenkurz geschnitten. Zwischen ihr und Rutgar war, als hätten sich seine durchwachten Nächte und ihre Fieberträume miteinander verwoben, eine enge und wortarme Innigkeit gewachsen; sie suchten so oft wie möglich die gegenseitige Nähe und die tröstende Stille. Auch Berenger hatte die Veränderung wahrgenommen und bedachte seine Freunde mit harmlosen Scherzen.
    »Deshalb fällt uns auch das Weiterreiten leichter«, sagte Rutgar und half Chersala in den Sattel. Er setzte den Fuß in den Steigbügel und hustete in der Staubwolke des vorbeiziehenden Trosses. »Bald lagern wir vor Jerusalem.«
    Er spornte sein Pferd und folgte Chersala. Neben dem Heerwurm preschten sie im aufgewirbelten Staub zu Berenger an die Spitze des Zuges.
 
    Das fränkische Heer erreichte, vier Tage nachdem es vor der Hafenstadt Akkon gelagert hatte, die Stadt Caesarea. Der Statthalter Akkons überließ den Franken mehr Proviant, als sie verzehren konnten, und erreichte dadurch, dass sie seine Stadt verschonten und nach Haifa weiterzogen. In Caesarea feierte man drei Tage lang das Pfingstfest, trotz des göttlichen Zeichens in Gestalt einer toten Taube, die vor dem Zelt des Bischofs von Apt zu Boden fiel; ein Habicht hatte den Vogel hoch über dem Lager geschlagen.
    Der Vogel, eine Brieftaube, trug eine Botschaft des Verwalters von Akkon am Bein. Sie war an den Statthalter Caesareas gerichtet. Man entzifferte sie und las: Lass die Emire aller muslimischen Städte davon benachrichtigen, damit sie alle Anstrengungen unternehmen, unsere Feinde zu vernichten. Aber die pfingstlichen Feiern wurden nicht gestört.
    Bis Arsuf ritten die Franken, von den Spähern und den muslimischen Wegekundigen zuverlässig von Brunnen zu Brunnen geführt, an der Küste weiter. Helle Moscheen mit schlanken Minaretten, von denen Muezzine zum Gebet riefen, verschwanden hinter Palmwedeln und den Kronen von Bäumen, deren Namen die Franken nicht kannten. Von dort bogen sie nach Osten, nach Ramlah, das sie am 3. Tag des Brachmonds erreichten. Alle Bewohner und die Besatzung waren geflohen, hatten aber die Kirche des heiligen Georg in Lydda, einem nahen Dörfchen, zerstört. Hinter Berengers Männern

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